Als ich nach langer Zeit wieder ins Dorf kam, erzählte man mir von dem seltsamen Menschen, der neuerdings in dem einsam gelegenen Haus ganz am Ende des Tales hauste. Das machte mich neugierig. "Es spricht nicht und ist verwirrt, halt ein armer Irrer" warnte mich der Gastwirt und der Pfarrer schlug das Kreuz: "Man sagt sogar, er sei vom Bösen besessen." Das machte mich noch neugieriger und am gleichen Tag stand ich vor dem Einsiedel.
Der alte Mann auf der Bank vor der Haustüre beachtet mich nicht. Ich setzte mich neben ihn und schaute mit ihm dem Schauspiel des herrlichen Sonnenuntergangs zu. Nach einer Weile fragte ich: "Können Sie sprechen? Ich würde Sie gerne etwas fragen." Denn die Worte des Pfarrers hatten mich zu einer Testfrage angeregt, die ich nun loswerden wollte. Der alte Mann schaute mir lächelnd ins Gesicht: "Wenn es ein Frage ist, die sich lohnt". Ich holte Luft und fragte: "Wie ist das mit Gott? Gibt es ihn? Hat er die Welt erschaffen?" Der Alte schwieg einen Augenblick – ich merkte, es war eine Frage, die sich für ihn lohnte – dann sprach er in ruhigem Ton:
"Dass Gott jedes einzelne Wesen persönlich gemacht hat, aus Ton und mit seinem Lebenshauch versehen, das ist ein schönes Märchen, von einem Schöpfergott, der rührend menschliche Züge trägt. Aber falsch ist es dennoch nicht, wie jedes Märchen, wenn man es tiefer versteht und nicht an Äußerlichkeiten kleben bleibt.
Denn der unserem menschlichen Verstand unbegreifliche Gott hat offenbar in sein Universum den Keim zur Vervollkommnung gelegt, welche wir heute Evolution nennen, und, mit dem Bild des Märchen-Gottes im Kopf, meinen, diese Evolution widerspräche seiner Schöpfung. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn man den Begriff weiter fasst als üblich, eben nicht nur als Evolution der biologischen Gattungen, dann ist Evolution eine Konsequenz seines Schöpfungskeims.
Dieser bewirkte, dass sich die unbelebte Erde aus Wasser und Stein eine Biosphäre erschuf, und so die Schöpfung durch das, was wir Leben nennen, vollkommener wurde. Später entstand das, was wir Geist nennen. Der Schöpfungskeim gab dem bis dahin allein von tierischen Instinkten getriebenen Menschen Verstand und Vernunft, womit er die Erde weiter gestalten konnte. Zusätzlich zur Biosphäre entstand auf diese Weise die Noosphäre."
"Aber ist der Mensch nicht gerade dabei, die Biosphäre zu zerstören?", entfuhr es mir, obwohl er noch nicht ausgeredet hatte: "Tagtäglich lese ich darüber in den Medien."
Der Alte blinzelte ins Rot der untergehenden Sonne und seine Stimme wurde geradezu fürsorglich: "Ach die Medien schreiben viel. Ich denke jedoch, dass einfach wie beim Entstehen und Vergehen der biologischen Gattungen Fehlentwicklungen vorkommen, oder besser gesagt Entwicklungen, die wir mit unserem beschränkten Verstand für Fehlentwicklungen halten. Es verläuft in der Noosphäre eben nicht alles gradlinig auf ein vorgegebenes Ziel hin, sondern die Freiheit – ein wesentlicher Bestandteil des Schöpfungskeims! – führt manchmal auf Irrwege, oder scheinbare, vielleicht notwendige Irrwege. Aber immer dann, um wieder märchenhaft zu sprechen, nimmt Gott den Menschen an der Hand und führt ihn auf den rechten Weg."
Nun schwieg er eine Weile, um mich dann mit einer kleinen Geste ins Haus einzuladen, denn die Sonne war mittlerweile ganz versunken und es wurde kühl. Gerne nahm ich die Einladung an und wir diskutierten an einem kleinen Holztisch bei einem Glas Wein, umgeben von Regalen voller Bücher und alter Schriften, bis in die späte Nacht. Seit dieser Zeit besuche ich den "Irren" ab und zu, um mir Rat zu holen und Hoffnung.
das ist eine schöne Geschichte und ich folgte deinen Bildern gerne. Besonders gefiel mir, dass der Besucher sich einfach still neben den Alten setzte und beide erst einmal in eine Richtung schauten, was für mich ein Zeichen der Annäherung ist, unabhängig davon, ob man anschließend einer Meinung sein wird. Die "einfache" Frage nach Gott beantwortet mir der Alte dann aber deutlich zu umfangreich und erklärend ausführlich. Für meinen Geschmack verlässt du da den märchenhaften Rahmen zu sehr. Ich habe allerdings auch keine Idee wie du diese Differenziertheit des Inhaltes hättest anders in Bilder verpacken können.
danke für deine Kritik. Manche Gedanken lassen sich nicht in wenige Worte fassen. Ich habe mir schon Mühe gegeben, es möglichst kurz zu halten. Die einzige Möglichkeit, die ich fand, war noch eine Frage einzufügen, was ich nun getan habe. Hoffentlich hilft es.
mit deiner zusätzlichen Frage hälst du den Dialog zwischen den beiden wach, das gefällt mir gut. Es wirkt für mich dadurch wieder organischer. Der Schluss ist schön, ich finde wir brauchen viel mehr "Irre" in unserer Zeit, mit denen wir ab und an ein Glas trinken sollten oder zumindest gemeinsam der Sonne beim Untergehen zuschauen.
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