Neue Arbeitgeber fragen ihre Untergebenen gerne, ob sie denn schon angekommen seien. Angekommen. Trotzig antworte ich stets auf solche Fragen, ich sei noch unterwegs. Unterwegs zur Firmenkultur. Unterwegs zur flachen Hierarchie. Unterwegs zu den neuen Kollegen. Unterwegs zur Kantine. Es mag nicht karrierefördernd sein, Vorgesetzten eine solche Antwort zu geben. Es ist aber die einzige Chance es erhobenen Hauptes bis zum Getränkeautomaten zu schaffen, ohne am ersten Arbeitstag in Tränen auszubrechen, weil man von einem System osmotisch aufgesogen wurde. Ich will nicht angekommen sein. In diesem Zusammenhang bedeutet „angekommen sein“ Unterwerfung. Daher bin ich schon ein Berufsleben lang unterwegs. Ich werde niemals ankommen.
Ich füge mich niemandem, außer dem Schicksal. Das Schicksal degradiert mich zum Außendienstmitarbeiter. Immerhin werde ich viel unterwegs sein. Kollegen und Firmenkultur sind weit weg. Man fühlt sich wie ein Freiberufler, mit dem Privileg nach Geschäftsreisen ins gemachte Nest zu fliegen, mit allen Vergünstigungen eines Festangestellten. Ich bin jeden Tag irgendwo. Aber ich werde nie ankommen müssen und genieße meine Freiheit. Ich schicke belanglose Berichte von Hotelzimmern aus zur Firmenzentrale. Belanglos. Denn ich habe nicht den Eindruck, dass meine Korrespondenz gelesen wird. Ich erfahre nie, ob meine Besuche bei Geschäftspartnern zu Abschlüssen führen. Ich sammle Bonusmeilen in meinem Hamsterrad, ohne über den Sinn meiner Tätigkeit nachdenken zu müssen. Ich bin unterwegs und trete auf der Stelle. Traumhaft! Denn so muss ich nie ankommen.
Globalisierung ist eine feine Sache! Man kann aus geschäftlichen Gründen reisen, ohne sich für fremde Länder interessieren zu müssen. Globalisierung bedeutet für mich, zu entdecken, dass die Welt überall gleichermaßen kompliziert und hässlich ist. New York ist ein verdammtes Irrenhaus. Der Eiffelturm sieht nur in alten amerikanischen Filmen toll aus. Und wirklich verliebt scheint in Frankreich niemand zu sein. Alles ist so trist und grau wie in Deutschland oder Großbritannien. Herrlich! Denn ich muss nicht lange in Frankreich bleiben. Schnell mein belangloser Bericht getippt, gemailt und in der Firmenzentrale geschreddert und weiter geht`s zum nächsten Flughafen, der gar nicht will, dass ich dort ankomme, da er mich nur durchschleusen und ausspucken will. Ein Flugzeug bringt mich irgendwo hin. Man kann absolut nichts tun – außer zu fliegen und zu warten, dass der Flieger landet. Am liebsten warte ich. Bahnhöfe sind dafür gemacht, um dort zu warten. Ich muss dort niemand sein. Ich muss mich nicht genötigt fühlen, Mails zu checken oder ein Wirtschaftsmagazin zu lesen. Denn hier kennt mich niemand. Hier kann ich mich in absoluter Anonymität auflösen – und warten. Wunderbar, diese Zwanglosigkeit.
Es gibt auch Geschäftsreisen, die wie eine Odyssee anmuten. Wie spannend! Jeder Taxifahrer, jeder Mietwagen-Verleih kann dein Feind sein. Man kann mich mitten in einer fremden Stadt stehen oder sitzen lassen. Wenn dann auch noch die Geldautomaten versagen, der Smartphone-Akku leer ist und alles überall in einer fremden Sprache geschrieben steht, – dann fühle ich mich wirklich frei! Denn ich werde nicht ankommen. Ich werde ewig unterwegs sein. Ich werde Haken schlagen und unnötige Umwege fliegen, fahren oder laufen. Ohne einen Cent in der Tasche steige ich ins nächste Taxi und lasse mich einfach treiben. Ich bete dafür, dass der Taxifahrer einen Führerschein besitzt, oder er wenigstens das Bremspedal findet. Alles andere ist mir egal. Ich steige an einer roten Ampel aus und renne davon, da ich die Taxifahrt ohnehin nicht bezahlen kann. Ich stehle mir eine Brieftasche und ergaunere mir mit falscher Identität einen Mietwagen. Der Vormieter hat offensichtlich in diesem Auto gewohnt. Ich rieche Bratkartoffeln. Auf den Rücksitz liegt noch die Bratpfanne. Im Fußraum kann ich viele bunte benutzte Kondome liegen sehen. Am Rückspiegel hängt eine Hasenpfote. Ich versuche, mir ein Bild meines Vormieters zu malen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich selbst. Ich sehe mich als dauerpoppenden, Bratkartoffel essenden Voodoo-Priester auf der Flucht vor... vor wem eigentlich? Werde ich in diesem Mietwagen enden? Werde ich bis ans Ende meines Lebens cruisen, auf dem Smartphone gefälschte belanglose Berichte tippen, mailen, schreddern lassen und nicht mehr darüber nachdenken, dass ich ohnehin nie ankommen wollte. Ich bin am Leben. Und ich hänge völlig in der Luft. Ich habe keine Bodenhaftung mehr. Es ist, als sei ich mit dem Mietwagen auf dem Weg zum Mond. Die Funkverbindung ist längst abgerissen. Vielleicht wird es keine Mondlandung geben. Eventuell umrunde ich den Mond nur und fliege gleich weiter zum Mars. Ich muss ja nicht dort ankommen. Der Weg ist das Ziel. Nein, nicht mal das! Der Weg verbrennt unter meinen Füßen, wird mit jedem Meter aus meinem Gedächtnis gelöscht. Ich bin überall und nirgends und das alles zur selben Zeit. Ich bin unterwegs.
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