Ihr hervorstechendstes Merkmal war ihre Fähigkeit, beim Erzählen durch ihre Zahnlücke uns Schüler anzuspucken. „We want information, not irrigation,“ fiel mir dazu ein. Ein Satz, den Rhys, unserer australischer Freund, gerne benutzte, um eine feuchte Aussprache zu umschreiben.
Wenn es an das Tiiie Ejtsch ging, mussten wir besonders aufpassen, denn dann hatte der Speichel durch den Zungenaufprall zwischen oberer und unterer Zahnreihe noch mehr Wucht als sonst, unterstützt durch die Vorwärtsbewegung ihres Kopfes in unsere Richtung. Ich hatte Sorge, dass sie dabei vornüber kippen könne, doch sie schaffte es erstaunlicherweise, die Balance zu halten.
Heute würde ich sagen, sie sah aus wie ein ältliches Frollein, wie ein klassischer Blaustrumpf in ihren Kostümen aus Tweed, mit den abgewetzten Ellbogen. Ihr Haar, schwarz gefärbt und irgendwie kurz geschnitten, stand ab in alle Richtungen, als hätte es dieselben Schwierigkeiten beim Vokabel lernen gehabt wie wir. Englisch war ihre Leidenschaft, Shakespeare, seine Sonette, wer weiß, vielleicht hatte sie als junge Frau sogar von einem Schäferstündchen mit dem großen Dichter geträumt, denn manchmal verdrehte sie Augen, wenn sie ihn rezitierte.
Was ich niemals vergessen kann, ist ihr Eiterpickel, so nannten wir ihn abfällig, ihren überdimensionierten Bernsteinring am linken Finger. Überhaupt trug sie gerne Schmuck. An eine Halskette aus vielen großen, bronzefarbenen Gliedern erinnere ich mich bis heute. Ring und Kette, mehr Variationen gab es nicht, vermutlich, weil Abwechslung nicht ihre Lebensmelodie war.
Eiterpickel, Zahnlücke und bisweilen ein Hauch von Urin, der sie umgab, das zeichnete Frau K., meine Englischlehrerin, aus. Diese Frau, die ich so mochte, weil ich mit ihr fühlte in ihrem Anderssein. Mit ihrem flackernden, suchenden Blick war sie der spottenden Schülermasse zum Fraß freigegeben. Ich hingegen wollte nur eins: sie beschützen.
deine literarische Annäherung an eure damalige Lehrerin ist dir eindrücklich gelungen. Sie blühte vor meinem inneren Auge geradezu auf, auch wenn ihre Erscheinung vielleicht weniger diesem Bild entsprach. Mit deinen wenigen, konkreten Details der Beschreibung, unterfüttert mit persönlichen Beziehungsaspekten, ist dir ihre Charakterisierung gut gelungen und einige Lehrkörper meiner Schul- und Studienzeit kamen mir unweigerlich vor mein Inneres Auge. Z.B. Prof. Smi, wie wir ihn nannten, der auf dem Konservatorium Musikgeschichte und Psychologie lehrte. Er war ein exaltierter Typ, mit lockig schwaren Haaren und einer ausgeprägten Nase. Besonders seine Stimmmelodie spannte für einen Mann sehr lebhafte Bögen, wenn er über Mozart oder Bach erzählte. Er war mir durchaus sympathisch.
Du siehst, dein Chrakterisierung wirkt wie ein Schneeball bergab.
deine liebevolle Geschichte hat mir in Erinnerung gerufen, wie ich wenige Jahre nach der Schulzeit mir alle Lehrer im Geiste Review passieren ließ und dabei feststellte, dass ich bei den angeblich guten, beliebten und pädagogisch eloquenten weniger gelernt habe, als bei einigen Typen, die von Schülern und auch von den anderen Lehrern verächtlich gemacht wurden. Einer wurde z.B. Manneken Piss genannt. Fehler und eine gewisse Tollpatschigkeit, die sich bisweilen verheddert, scheinen den Lernstoff interessant zu machen und eher hilfreich zu sein. So ähnlich wie Zaubertricks, die nicht funktionieren eher zum Nachmachen anregen, als eine Vorstellung, bei der man nur staunend zusieht.
schön, wenn ich Erinnerungen in euch wecken konnte. Ich würde mich freuen, wenn ihr auch einmal eine Charakterisierung hochladen würdet, dann können wir uns bestimmt gegenseitig inspirieren.
Liebe Gabi, natürlich haast du recht mit deinen Anmerkungen. Ich habe die Fehler korrigiert.
Ein Hoch auf unsere LehrerInnen, die uns zum Teil nachhaltig in unseren Leben beeinflusst haben.
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