Das alte Jahr hatte sich bereits verabschiedet. Auch die ersten Tage der Arbeit im neuen Jahr waren bereits verstrichen. Mein Sohn war sechzehn Jahre alt und ich einundvierzig.
Mein Vater war am vergangenen 2. Weihnachtstag gestorben. So plötzlich wie still. In der Nacht, als nur das Mondlicht in sein Zimmer schien und um ihn war. Unsere Mutter hatte ihn morgens gefunden. Sah in ihm schon lange ihren eigenen Vater, denn alles war so verändert seit der Demenz. Und während sie im Nachthemd zur Kirche im Dorf lief, laut rufend, ..mein Vater ist tot, mein Vater ist tot, .. versammelten sich die ersten Kirchgänger zum Gottesdienst.
In der Mittagspause saßen meine Kolleginnen und ich in der Sonne vor unserer Abteilung. Mich begleitete in diesen Tagen die Trauer um meinen Vater wie ein Mantel, den ich morgens anzog, aber tagsüber nicht ablegen konnte. Und so wurden meine Wangen manchmal unvermittelt nass, ohne jede Scham und so still, wie mein Vater gestorben war. An einem dieser Tage, in der Mittagspause während wir im Freien saßen, verdunkelte sich die Sonne. Ganz langsam nur, aber zunehmend. Und es wurde still und überraschend kalt. Kein Vogel sang mehr und es legte sich eine sonderbare Stimmung über den eben noch hellen Tag, wie der Mantel der zu dieser Zeit auf meinen Schultern ruhte.
Der Pfarrer rief an. Er war mittlerweile mit unserer Mutter im Haus meiner Eltern angekommen. Es sei etwas mit meinem Vater, ich müsse kommen. Er sprach nicht vom Tod. Als ich wenig später in die Straße meiner Kindheit fuhr, kam mir ein Krankenwagen entgegen, in ruhigem Tempo. Die Hoffnung sagte mir, es wäre schon nicht so schlimm.
Nachdem der Mond sich langsam, ganz allmählich wieder zurückgezogen hatte, nahm das Licht des Mittags wieder seinen Platz am Himmel ein. Die Luft verlor ihr Schweigen, leise sangen erste Vögel wieder und die flüchtige Aura der Finsternis verflog.
Im kommenden Jahr wird mein Sohn einundvierzig Jahre alt. Bald ist Weihnachten. Manchmal noch, ohne dass sich der Mond vor die Sonne schiebt, huscht etwas um mich herum, das in dieser Zeit still und fast unerkannt um mich spukt.
Doch die Finsternis weicht dem Licht, und die Tage werden wieder heller sein.
Lieber Sanderling Deine Geschichte ist sehr poetisch, auch wenn sie uns in Traurigkeit hüllt. Ich musste gleich an meinen Vater denken. Er starb am 24.12. als ich erst 26 und mein Kind gerade 6 Jahre alt war. Danach war Weihnachten lange Jahre für mich nur Pflichtprogramm. Jeder hat wohl sein Päckchen im Leben zu tragen. Liebe Grüße Ilona
Liebe Ostseemöwe, danke für "sehr poetisch". Mit dem anderen Teil deines Kommentares hast du so recht. Dir und deinen Lieben ein schönes Weihnachtsfest.
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