Vereinzelt knistern Eiskristalle auf den Blättern des Frauenmantels, die am Wegesrand kauern. Der Winter hält Einzug.
Ein leerer Flachmann liegt im hohen Gras – noch von Bodennebel bedeckt.
Der Spielplatz ist verwaist, an seinem Eingang prangt ein Schild mit der Benutzungsordnung für Kinderspielplätze der Stadt. In gesperrten Lettern: DAS IM VOLLZUG DIESER BENUTZUNGSORDNUNG Anordnungen d e s Aufsichtspersonals… ist Folge zu leisten. (Anmerkung meinerseits: Für die grammatikalischen Fehler übernehme ich keine Haftung…). Da sich Regenschlieren über das Schild ziehen, wurde darunter ein neues Schild mit bunten Verbotspiktogrammen angebracht. Falls es Verständigungsprobleme geben sollte. Nicht nur bei den Kindern.
Links von dem Spielplatz steht ein rechteckiger Kasten mit einer Warnung in gelb: Hochspannung / Lebensgefahr.
Eine Eisenkette sichert ein verwittertes Tor. Der Zugang zum verwilderten Garten bleibt weiterhin versperrt.
An einem Laternenpfahl hängt, mit Tesafilm befestigt, eine verblasste, zerrissene Kinderzeichen. „Ich suche meine Minka. Verzweifelt. Ruft mich bitte an.“ Darunter kündet ein Aufkleber in blau von 130 Jahren Hertha BSC.
Ein paar Ringelblumen nicken mir leuchtend zu, hier und da schimmert eine Hagebutte rötlich in Beeten. Erste Lichterketten schlängeln sich durch Tannenzweige auf dem Balkonkasten der Nachbarin. Morgens leuchten sie noch nicht, die Dame schläft bekanntlich länger. Sie ist nicht mehr die Jüngste.
Rechts des Weges entdecke ich einen Reisighaufen. Schutz für Igel & Co.
Wieder zu Hause angekommen hüpft ein Rotkehlchen über die Terrasse und eine Elster versperrt den Eingang zum Vogelhäuschen.
Am trüben Himmel macht sich ein Sonnenloch breit – Hoffnung auf Licht.
Vereinzelt knistert ein Schimpfwort, um ehrlich zu sein sind es nur halbherzige Flüche, durch die Luft. Sie gelten der nichtentlüfteten Heizung und sind die einzigen Funken, die mich wenigstens von innen heraus wärmen.
Ein leeres Glas steht schon seit drei Tagen auf dem runden Tisch, der letzte des einst dreiteiligen Sets von Beistellmöbeln.
Der Spielplatz, vielmehr die einstige Spielwiese einer belebten Partnerschaft, eine aschgraue Ikeacouch, ist bereits in die Jahre gekommen. Wenn sie morgen auf den Sperrmüll wandert hat sie immerhin sieben Monate länger durchgehalten als wir, wobei du niemals solche abgeranzten Ecken haben wirst, da bin ich mir sicher.
Links vom gerade noch verfluchten Hohlkörper, auf einem Schreibtisch steht mein aufgeklapptes Notebook, hier sehe ich die Netflixserien, nicht auf dem mehr als dreimal so großen TV.
Eine Eisenkette, vielmehr das darin eingeflochtene Schildchen, um mein Handgelenk trägt meine eingestanzten Patientendaten, deine Handynummer sollte ich mal ersetzen.
An einem einsamen, tristen Abend tut es mehr weh als ich zugeben will.
Ein paar Ringelblumen für morgen stehen schon im frischen Wasser, das einzige das sich verbessert hat, seit dem du gegangen bist, ich kaufe jetzt jede Woche deine Lieblingsblumen, morgen werde ich sie zu dir stellen.
Rechts des Weges, neben deinem Stein, werde ich noch genug Platz für viele Wochen finden.
Wieder zu Hause angekommen, breitet sich dann die Leere meiner geballten Hände wieder über mich aus und droht mich zu verschlingen, so wie jedes Mal, doch es wird besser.
Am trüben Himmel reißt ein Sonnenloch auf - Hoffnung auf Leben.
So in etwa? Hab mich mal an deinem Text orientiert.
deine Alltagsminiatur nimmt mich mit auf deinen Spaziergang. Die Eindrücke wirken sehr authentisch und geben eine typische Winterstimmung wieder. Mir gefällt diese Idee!
Lieber Derolli,
mit Begeisterung las ich deine Beschreibung zwischen gestern und heute aus der Dachkammer. Sie ist facettenreich und stimmungsvoll. Sie hinterlässt Fragen und regt mich an, mir das angefangene Bild einer Beziehung im Stillen weiter auszumalen. Das ist sehr schön geschrieben. - Ich würde mir wünschen, du würdest aus deiner Beschreibung einen eigenen Beitrag machen, sonst geht sie in den folgenden Antworten an anna ja völlig unter. Das wäre zu schade.
Vielen Dank, dass du auch meinen Kommentar berücksichtigt hast. Ein eigener Beitrag kann das aber niemals sein, denn er braucht das Gedicht von anna a. (der Bezug zu jeder Zeile wird ja nur so klar), da er ja extrem daran anlehnt. Vielleicht ist es so eine Art Kette und wenn man die Regeln festlegt (ähnlich wie bei diesem „es war nicht die Leber (oder Eber)“ Gleichanfangsspiel), könnten da noch unendlich viele Gedanken daraus entstehen.
Jedenfalls habe ich es mal noch fertig geschrieben, dann wird es vielleicht auch deutlicher.
Danke nochmal für das Kommentieren, mach doch einfach mit, bin gespannt.
deine Geschichte war sicher inspiriert von annas Wahrnehmungen. Doch hat sie für mich einen ganz speziellen Charakter, der nicht vergleichbar ist, so angelehnt er auch sein mag. - Aber, du entscheidest natürlich wie du es siehst.
vielen Dank für eure Kommentare. Und auch deine eigene Wahrnehmungen, lieber Derolli. Mit meinen kurzen Fragmenten wollte ich einfach während eines Spazierganges meine Achtsamkeit stärken und in der Tat sind mir dadurch Dinge aufgefallen, die ich sonst nicht bemerkt hätte. Durch das Aufschreiben entsteht widerum eine ganz eigene Stimmung...
Ich würde mich freuen, wenn ihr diese Schreibidee aufgreifen würdet und einfach eure Wahrnehmungen, wo auch immer aufschreiben könntet... Gerne auch als eigene Texte, denn sonst verschwänden sie hier in diesem Faden und das wäre doch schade, da hat Sanderliing recht
Liebe Grüße
anna a.
Aktuelle Wahrnehmung
Der Hund träumt, seine Pfoten laufen in der Luft und sein Schwanz schlägt vor Freude auf das Parkett.
Am Himmel türmen sich die Wolken auf, erste Regentropfen landen an der Scheibe.
Das Tik-Tak der Uhren läuft asynchron. Es ist, als wolle es die Zeit noch schneller vorantreiben.
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