Tag eins nach dem Urlaub, der Schreibtisch biegt sich vor Arbeit und ich frage mich nicht nur heute: Wo bleibt die Stille? Zwei Wochen lang habe ich sie in der Toskana genossen. Nicht ununterbrochen, das wäre vielleicht zu viel gewesen nach dieser Zeit der Irrungen und Wirrungen, aber immer wieder. Und mit wachsender Begeisterung und Hingabe.
Vor lauter Lauschen und Staunen sei still/ Du mein tief tiefes Leben – das schrieb Rilke 1898 und ich frage mich, wie hört sich Stille an?
Ja, es ist kaum zu glauben, aber Stille kann auch lärmen, in mir drin. Wenn ich meine eigenen Gedanken stolpern höre, wenn Wortfetzen durch meinen Kopf sausen, Bilderblitze Eindrücke durchkreuzen, wenn sich alle Meere der Welt in meinen Abgründen zu vereinen scheinen oder das Tuckern eines Kahnes versucht, mich zu beruhigen. Doch jetzt sitze ich hier, besser ich liege im Wasser, in einem pool in the middle of nowhere, zwischen Zypressen und Olivenbäumen, mit Blick auf ein kleines Kloster und warte auf Stille. In meinem Kopf. In meinem Herzen. Ihr Schläge in der linken Brust, ihr müsst nicht poltern, du Darm, du brauchst nicht zu gluckern, es darf still werden, auch in mir. Und wieder und wieder lausche ich der Stille nach, registriere, dass sich Wolken lautlos über den Himmel schieben, folge dem Flügelschlag eines Wiedehopfes, höre das Blätterrauschen der entfernten Eiche und den Ruf von Fasanen auf dem Feld.
Und an dieser Stelle frage ich mich, wie riecht eigentlich Stille? Für mich riecht sie in diesem Moment nach Sommer, nach Leichtigkeit, nach Schweben und nach Dolcefarniente. Nach reifen Tomaten, Rosmarin, Thymian und Basilikum, nach dampfenden Erdkrumen nach einem Regenguss, nur einen Eidechsenhusch von mir entfernt. Sie riecht nach Sonnenmilch, nach Salzwasser und nach Endlosigkeit. Genau, Stille duftet nach Endlosigkeit, das fällt mir jetzt erst auf.
Wie sie schmeckt, die Stille, wollt ihr das wissen? Ich weiß es nicht, sie ist, glaube ich, geschmacksneutral. Sie will nicht aufwühlen, will nicht die Geschmacksknospen kitzeln, nicht erregen, nicht aufregen, sie möchte still sein. Einfach nur still sein.
Ich liebe Stefanos Blick, wenn er sagt: „Tranquillo…“ Das Q sind in diesem Wort erinnert mich an das sanfte Schweben von Quallen, an das klare Wasser einer Quelle, an zärtliche Querflötentöne und an das englische Wort quiet. Stille, wo bist du? Das ist vielleicht eher die Frage. Ich schließe meine Augen, schwimme Zug um Zug durch das abgekühlte Wasser des frühen Morgens und weiß: Stille, du bist da. Wenn ich dich brauche…
zu mir kam sie heut morgen ebenfalls geflogen übers Meer, die Stille. Unterhalb der Gattelusitürme, links der alten brüchigen Mole, die die Stelle des antiken Hafens noch immer markiert. Wie lang noch bleibt ihr Geheimnis. Ich jedenfalls durchschnitt das unendlich durchsichtige, von Süßwasserperlen gespeiste Salzwasser, halb brust-, halb rückenschwimmend genüsslich, empfing die Stille, lauschte dem fernen Gekreische der Möwen…andächtig und schaute zum Mondberg dankbar empor…
Lieber Thomas, wie schön, dass du das erkannt hast und auch äußerst! Danke! Bekanntlich liegt das Schöne im Auge, bzw. im Ohr des Rezipienten, doch wo bliebe es, wenn es keiner bemerkte? Im Verborgenen…
dein Text verdient eine ausführliche Antwort. Verzeih meine spontane Reaktion auf Thomas und Carlino. - Der Beginn deines Textes liest sich für mich wie ein Gedankengang aus dem Innersten. Vielleicht sogar eine Tagebuchaufzeichnung. - Dann, etwas später, scheint ein Souffleuse daran zu erinnern, dass es einen Rahmen gibt, der einzuhalten sei, um nicht tiefe Schichten zu öffnen . - Nur mein Eindruck, da plötzlich Fragestellungen auftauchen, die für mich scheinbar konstruiert erscheinen. Wie riecht Stille, wie schmeckt sie... Es fallen mir hier die Worte: "Sho, don't tell" ein. Vielleicht lag die Stille zwischen den zwei Rufen des Wiederhopf, ... vielleicht im Abgang des letzten Schluck Rotwein vom Abend zuvor.
Liebe anna a Ich lese deinen Text und dort gibt es ganz viele Momente in denen ich verweile. Ja, ich kann deine Stille, auch die Stille in mir körperlich spüren. Sehr schön, und die Fragen nach dem Geschmack und dem Duft der Stille sind wie geschaffen um zu verweilen und die Stille zu erspüren. Richtig toll geschrieben. Liebe Grüße Ilona
Lieber Thomas, tatsächlich habe ich auch immer wieder in dieser Situation der Stille an Goethe und sein kurzes Gedicht denken müssen. Er hat es, glaube ich, auf der Wanderung durch Thüringen geschrieben und ich bin jedesmal aufs Neue fasziniert von der Kraft seiner Worte.
Lieber Sanderling,
du hast etwas angesprochen, was mir beim Schreiben des Textes nicht bewusst war. Der Text ist nämlich aus einem Schreibimpuls entstanden, bei dem wir innerhalb von zehn Minuten zu einem Thema unseres Sommers schreiben sollten ( wir hatten uns brainstorm - mäßig 5 Themen vorher aufgeschrieben).
Offensichtlich bin ich beim spontanen Schreiben tatsächlich erst einmal ganz in die Erinnerung eingetaucht und erst später ist der Kopf dazu gekommen ( wobei bei zehn Minuten der Kopf nicht so wahnsinnig viel Zeit hat, dazuzustoßen, versuche es gerne mal). Deine Beobachtung ist kostbar für mich, ich werde bei meinem künftigen Schreiben einmal in der Betrachtung des Schreibprozesses darauf achten.
Lieber Carlino,
vielen Dank für diese poetische Antwort. Warum verbringe ich eigentlich nicht die Sommer auf dem Mondberg, habe ich mich gefragt. Gehöre ich nicht genau dort hin?
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