Klassische Archäologie

Lieber Carlino,

die Erinnerungen an (d)eine Studienzeit sind sehr dicht und atmosphärisch aufgeladen. Ich roch das Bohnerwachs der Stiege, den Staub, und sah die erlesene Gesellschaft der Studentenschaft vor mir. Auch das Klacken der Krücken konnte ich hören. Was ist es, fragte ich mich anschließend, was ist es, dass wir in diesen Tagen unsere Erinnerungen hervorkramen? Ist es ein Bedürfnis des Alterns? Welche Funktion haben diese, unsere Erinnerungen in solch katastrophalen Zeiten wie diesen? In einem Buch von Marianna Leky ("Kummer aller Art") las ich diesbezüglich einen schönen Satz: "Es wird Zeit sich für das Alter mit Erinnerungen zu monitionieren", daran dachte ich beim Lesen deiner Zeilen. Die Erinnerungen und Begegnungen scheinen wie ein Netzwerk zu sein, dass unser Leben gesponnen hat, und welches uns noch lange nach dem Erleben sicher zu tragen scheint und ggf. auch eine Seelenschutz-
und Abwehrfunktion in Krisenzeiten hat. - Mir wurde spontan wieder der Klang der Stimme meines ersten, alten Professors im Musikstudium wach, der uns in Stimmbildung und Sprecherziehung unterrichtete....lang ist es her. Danke hierfür!

Ich finde , du hast uns eine lebhafte und bunte Geschichte erzählt, ob sie allen Kriterien eines Parlandos gerecht wird ist mir völlig eins, und kann ich, so glaube ich, auch immer noch nicht sicher beurteilen, aber aktuell überhaupt Worte zu finden ist bereits eine Kunst für sich. Und die hast du bewiesen!

Vielen Dank für den Gedankenausflug in die Vergangenheit.

Liebe Grüße
der Sanderling

Lieber Sanderling,

deine Rückmeldung erfreut mich sehr, besonders, dass du das Atmosphärische so zu schätzen weißt! Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass du ein Holzbein zu hören glaubst, obwohl der Professor kein solches trug. Ohne Holzbein fühlte er sich laut eigenem Bekunden weniger behindert und eingeschränkt…

Was die Funktion der Erinnerung anbelangt, teile ich deine Ansichten vollauf. Sie ist Zuflucht einerseits und verleiht Stärke andererseits …

Vielen Dank für deine Worte und herzliche Grüße aus Lüli
Karlheinz

Lieber Carlino
vorweg, ich glaube du meinst Abtritt und nicht Abritt?

Zitat von Carlino im Beitrag #1

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An den geruchsstarken Abritt auf halber Treppe,

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Liebe Ostseemöwe,

sofort, aber wirklich sofort werde ich den Abritt zum Abtritt umändern, denn er spielt schon seine Rolle in meinem Parlando, danke!
Verklären wollte ich eigentlich nix, vor allem die Realität nicht…der Professor war ein solch begnadeter Redner, bzw. Flüsterer, dass er wie ein Verklärter rüberkam und seine Zuhörer wurden gleichsam mit verklärt…
Die von dir erinnerten Beschwernisse hatte ich natürlich ebenso. Diese negativen Erlebnisse hatte ich vor allem in der Schulzeit, während das Studium, besonders in der hier geschilderten Phase Aufbruch und Freiheit für mich bedeutete …

Herzliche Grüße aus Lüli
Karlheinz

Lieber Karlheinz,

wie gesagt - ich verstehe immer noch nicht ganz, was ein parlando ein Parlando sein lässt, aber aus meinem Bauch heraus würde ich sagen, dein Gedicht ist sicher ein Parlando.

Erst kürzlich habe ich eine Geschichte aus der Nachkriegszeit gelesen und mich wieddr daran erinnert, wieviel Kriegsversehrte ( seltsames Wort eigentlich ), wieviel Verwundeten ich damals noch begegnet bin. Menschen mit Holzbein, Glasauge oder Lederhand, Menschen, die sich zum Teil eigenartig gebärdeten - auf mich als Kind wirkte das zunächhst fremd und bedrohlich, aber ab irgendwann gehörte es einfach dazu.

Ich fühlte mich jedenfalls sehr auch an meine Studienzeit erinnert, in der ich mir noch ein Zimmer teilen und keinen Männerbesuch haben durfte, damit das ältliche Frollein S., mit der ich mir das Bad teilte, nicht morgens erschrak.

@Sanderling ich glaube auch, dass das Auftauchen von Erinnerungen sicher im Alter mehr Platz hat - schon alleine wegen der oft anderen Lebensgeschwindigkeit... es ist, als ob man sich mehr und mehr auf das Wesentlich konzentrierte und ohne unsere Geschichten verlören wir unsere Identität. Gut, dass wir sie austauschen können und ich finde es enorm wichtig, sie auch für die Nachkommen aufzuschreiben. Als Zeitdokument, aber auch damit unsere Kinder und Kindeskinder, unsere Neffen und Nichten ihre Wurzeln später entdecken können...

Liebe sentimentale Grüße

anna a.

Lieber Thomas,

ja, die idyllisch-poetische Atmosphäre von Spitzwegbildern oder auch die Nostalgie der Feuerzangenbowle stellt sich ein, obwohl der Text so prosaisch gehalten ist. Der Professor kam gerade durch seine Versehrtheit und Gebrochenheit sehr menschlich rüber, obwohl seine Verstrickung in die Nazi-Vergangenheit allgemein bekannt war…

Liebe anna,

sog. Kriegskrüppel waren in der Tat noch überall sichtbar. Ich erinnere mich an eine Szene, als ich als Knirps auf der Straße spielte. Ein Passant beugte sich plötzlich über mich, um mir irgendetwas zu sagen. Erst sah ich ihn von der einen Seite, die völlig in Ordnung war, dann von der anderen, die komplett fehlte. Ich bekam den Schock meines Lebens, lief weinend nach Hause und ging die nächsten Tage nicht mehr runter zum Spielen…
Mein Stundentenzimmer in Marburg hatte übrigens kein Wasser. Die Toilette war auf halber Treppe im Flur und die einzige Waschmöglichkeit in der ehemaligen Küche, die ich mir mit vier Studentinnen teilen musste. Das starke Waschbedürfnis der Mitbewohnerinnen führte dazu, dass ich kaum zum Zuge kam…

Danke und herzliche Grüße aus Lüli
Karlheinz