17:00h großer Feierabendverkehr, ich habe es eilig, denn ich habe einen Zahnarzt Termin. Wie immer in der Stoßzeit, wenn man es eilig hat, wissen einige Automobilisten nicht, wie man sich in den 3 folgenden Kreiseln zu verhalten hat. Man blinkt nicht, wenn man heraus will nein, sondern wenn man drumherum fahren will. Da heißt es Augen auf und alle Sinne geschärft, im richtigen Augenblick dann in den Kreisel einfahren zu können, ist um diese Zeit die große Kunst. Ich bin wegen dem Termin schon den ganzen Tag über nervös, schlimmer als wenn ich einen Theaterauftritt hätte. Das „Puff“ auf der Hauptstraße lässt meine Nervosität auch nicht weniger werden. Ausgerechnet jetzt sehe ich im Rückspiegel die Ambulanz von Solothurn mit Blaulicht heranrasen, was uns „Kreisler“ veranlasst, auf ein über hohes Trottoir zu hüpfen. So ein Mist, mein schönes Auto, aber was tut man nicht alles, wenn Menschenleben gerettet werden können.
Pünktlich 2 Minuten vor der Zeit trudle ich dann in der Zahnarztpraxis ein. Das Empfangszimmer ist voll überfüllt mit 4 Personen, was mich auch nicht ruhiger werden lässt. Zu oft schon habe ich wegen Notfallsituationen die Praxis aus Goodwill wieder verlassen. Ich hoffe bloß, dass es diesmal nicht so ist! Da meldet die Frau vom Zahnarzt auch schon, dass es eine kleine Verzögerung gegeben hätte. Ich schaue mir die Personen an, welche außer mir noch da sind, zwei Frauen, ein Mann.
Die Damen scheinen dem höheren Stand anzugehören, dass rieche ich schon an dem grausamen Parfümduft, denn sie verströmen. Beide sind in eine Zeitschrift vertieft, wie das so üblich ist, beim Zahnarzt. Ich selber mache das nie, oder höchst selten, nein ich schaue mir die Menschen an, welche hier sitzen und versuche mir ein Bild über sie zu machen. Statt in zerfledderten Zeitschriften zu lesen, welche ich zu Hause schon längst gelesen habe. Frau rechts blättert gelangweilt in der Schweizer Illustrierten, ab und an betrachtet sie ihre rot lackierten Fingernägel, oder streicht sich durch Haar. Frau links liest interessiert in einer Gartenzeitschrift, wippt aber ganz aufgeregt mit ihrem übereinander geschlagenen Bein.
Sie kann es wohl kaum erwarten, endlich an der Reihe zu sein. Mein Blick schweift zu dem Mann, welcher neben ihnen, ganz nahe der Türe sitzt. Ich erschrecke, seine Hände streichen aufgeregt an der Hosennaht hin und her, dann wieder trommeln sie auf seinen Beinen, beide gleichzeitig. Dann beginnt sein einer Fuß rhythmisch sich zu bewegen, seine Hände fahren durch sein lockiges Haar und seine Blicke gehen hin und her, wie aufgezogen.
Ich denke: „Na mein Junge, was ist denn hast Du Panik oder wie?“ Natürlich sehen die beiden Damen auch nicht dass geringste von dem, was ich sehe. Wie sollten sie auch, man ist ja viel zu sehr mit sich selber beschäftigt. Plötzlich beginnt der Herr, welcher mir sehr sympathisch ist, zu sprechen. Vor Schreck falle ich beinahe vom Stuhl, dass hat es bis jetzt noch nie gegeben, dass jemand im Wartezimmer spricht. „Grüß Gott und Adieu“ war bis anhin alles, was ich da je gehört habe.
Die beiden Damen schrecken auf, die eine sieht pikiert aus dem Fenster, die andere beginnt rasend schnell durch die Zeitschrift zu blättern. Ich kann geradezu fühlen, was die beiden Hennen denken, was mir ein sehr breites Grinsen entlockt, dass der Herr erwidert. Er beginnt mit mir zu reden, erzählt mir von seinen Panikattacken, dass er in langjähriger Therapie lernen musste, eben wenn ihn diese Attacken einholen, dass zu tun was er eben macht.
Man muss ja nun nicht glauben, dass die beiden Damen sich auch nur im geringsten darum gekümmert hätten. Ihr Parfum war inzwischen so penetrant, dass man es mit der Schere schneiden konnte. In der Zwischenzeit wurden die beiden aufgerufen, wir bemerkten es nicht einmal, Adieu sagten sie nicht, aber dass war egal. Ich stand auf und öffnete das Fenster weit, er atmete tief und zufrieden ein. Eine Stunde verging wie im Fluge und von seiner Panikattacke war nichts mehr zu spüren, wir kamen uns vor wie zu Hause im Wohnzimmer unter Freunden. Bald wurden auch wir aufgerufen und verabschiedeten uns herzlich voneinander.
Mein Zahnarzt sagte, so ruhig und relaxed hatte er mich noch nie erlebt. Sein Sohn kam kurz herüber und sagte so hätte er Herrn Sowieso noch niemals erlebt. An dieser Geschichte kann man sehen, was manchmal für kleine Wunder geschehen können, wenn 2 Menschen sich treffen, auch wenn sie sich nicht kennen und sich nicht bloß an schweigen.
Liebe Gabi, ja, so isses! Etwas Zuwendung kann manchmal Wunder bewirken. Fein, was du erreicht hast. Ich stolpere nur über deine Schilderung der Stille im Wartezimmer. Hier quatschen alle durcheinander, Hauptthema: Krankheiten. Manno, du kommst raus und bist sterbenskrank, selbst wenn du gesund und munter herein gekommen bist! Eine seeeeehr realistische Geschichte, gefällt mir! Grüßle, Heliane.
Also bei mir hat keiner gequatscht! Ist das in Berlin so, dass in den Wartezimmer gequatscht wird? Wäre mir aber ganz etwas Neues. Dich mal auffängt beim Stolpern Berlin muss aber ganz etwas aussergewöhnliches sein Bist aber auch die Erste, die sagt im Wartezimmer wird gequatscht, wenn das so gewesen wäre, dann wäre diese kleine Geschichte nie entstanden
Liebe Gabi, Berliner sind wohl eine ganz besondere Spezies. Sie quatschen immer und überall und besonders gerne über ihre Krankheiten, glaubs mir. Selbst im Supermarkt wird gejammert und gestönt (unter den Älteren, versteht sich)! Herzliche Grüße, Heliane.
liebe Gabi so bildlich wie Du schreibst, solltest Du überall Stift und Papier bei Dir tragen. Ich habe euch alle vor mir gesehen. Toll
wir Norddeutschen schweigen auch gerne. Und wenn jemand was sagt, wird schon schief geschaut. Manchmal habe ich schon gelacht, wenn die Eltern den Kindern Ruhe verordnen. Übrigens hat der Ingo Baumgartner auf seinem Buchrücken einen witzigen Text, er passt gerade hier her. Hypochonder Ein Hypochonder ist verzagt. Kein Schwindel, der ihn heute plagt, kein Schmerz, kein Stich, kein schwaches Bein. Es wird doch wohl nichts Ernstes sein. ----------------------- herzlich Ilona
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