„Et kütt, wie et kütt,“ sagt die Großmutter schlicht, legt ihre knochigen Hände müde in den Schoß, steht wenig später auf und macht Licht, geht an den zerschundenen Holzküchentisch, wo zuhauf alte Postkarten von Ottoken liegen.
Sie zerschlägt ein paar Fliegen mit der Klatsche von mir, öffnet ein Bier und schreibt los:
„ Damals, als der Krieg unsere Liebe zerstörte, als niemand mein nächtliches Schluchzen erhörte, als mein Herz gegen jeden kommenden Tag rebellierte und ich nur studierte, studierte, um das Leben nicht ganz zu vergessen, da stand auf einmal mitten in Hessen an einem dieser trüben Herbstdonnerstage diese eine entscheidende Frage in einem Buch, das ich dieser Tage zufällig wieder in meine Hände bekam und das mich erneut frug:
„Bleibst du gram oder willst du nicht wieder mal lächeln?“
„Ja,“ rief ich aus, „ich möchte mir wieder Träume zufächeln, wieder singen und auch wieder musizieren, in Mondnächten tanzen und endlich den Grauschleier auf meiner Seele verlieren.
Und zwei Tage später - es war einziehender Winter - begegnete ich ihm, dem Trompeter Hans - Günther.“
Die Großmutter lächelt, als sie darüber schreibt und gibt mir folgende Weisheit mit auf den Weg, die bis heute tief in meinem Herzen verbleibt.
„ Mein Kind, liebe das Schicksal, denn es liebt dich auf seine eigene Weise, sei es mit Verspätung oder aber unendlich leise. Glaub mir, Du wirst es verstehen, manchmal viele Jahre später vielleicht erst klarer sehen, wie es seine schützenden Arme liebevoll um deine große Not legte und trotz aller Sorgen dich schließlich zum Glücke bewegte.“
da ja eine Aufgabe zu Grunde liegt, nämlich ein Gedicht über die Liebe (nicht nur Hin- oder Annahme) zum Schicksal zu schreiben würde ich mal behaupten, dass das hier voll passt. Die mal kurzen mal langen Verse mal im Reim mal ohne … eben so wie das Schicksal völlig wild und nicht in Fesseln zwingbar. Ich selbst glaube nicht daran, dass es ein festgelegtes Schicksal für uns Menschen gibt, ich bin eher der Auffassung das Ungerechtigkeit selbst den eifrigsten Glücksschmied in die Knie zwingen kann, genauso wie man durch Zufall etwas Großes erleben kann. Wie dem auch sei dein Gedicht vermittelt mir eine feste tiefe Vorstellung davon wie man mit dem Schicksal leben, statt mit ihm hadern kann. Annahme scheint mir der Schlüssel von so vielem zu sein. Danke für deine zum Nachdenken einladenden Zeilen. Liebe Grüße
mir gefällt dene "Lebens"-Geschichte mit der poetischen Oma sehr gut. Die Form wirkt rhythmisch ab und zu wie Poetry Slam auf mich und führt zur Lebensweisheit: "Liebe das Schicksal, denn es liebt dich"
auf das Grübeln über die Aufgabenstellung entsprang bei dir ein geradezu freudig-spriziges Parlando-Gedicht. Die Mischung aus Erzählstil und Reimen führt so locker durch dein Gedicht. Es ist dir auf besondere Weise gut gelungen, da du sowohl unterhälst, als auch eine tiefgehende Geschichte über das Leben erzählst. Das gefällt mir sehr. Vor meinen Augen lief ein ganzer Film ab. - Danke, für die Annahme dieser heraufordernden Aufgabe, das Ergebnis zeigt, wie lohnend die vielen Gedanken waren.
Liebe anna a Wenn nur alle Lebensgeschichten so ein positives Ende finden war mein erster Gedanke. Deine Geschichte liest sich flüssig und die hessische Oma ist wie aus der Realität geschnitzt. Das Schicksal anzunehmen und sich aufzuraffen ist wichtig und darum finde ich dein Gedicht wichtig und gelungen. Liebe Grüße Ilona
dank deines Kommentares habe ich gemerkt, dass ich in der Tat die Annahme des Schicksales meinte, frei nach Oetingers bekanntem Zitat:
„Gott gebe mir die Kraft, Dinge zu ändern, die ich ändern kann; die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann und die Weisheit, das eine von dem anderen zu unterscheiden.“
Für mich ist das der beste Energieerhaltungssatz, den ich kenne und ich prüfe gerne, ob ich meine, etwas ändern zu können oder nicht. Und wenn ich zum Beispiel ein äußeres Ereignis nicht ändern kann, versuche ich meine Einstellung dazu zu verändern. Die Wirklichkeit ist eben nur ein Konstrukt und wir bauen uns ständig unsere Wirklichkeiten neu, flechten sie ein in unsere eigenen Geschichten und Erlebnisse, so lange bis sie für uns handhabbar, verstehbar und sinnhaft werden. Dann passt es, dann können wir das Geschehene annehmen, so erlebe ich das jedenfalls.
Liebe Ilona,
das passt zu dem, was du geschrieben hast. Die Geschichten gehen eben nicht alle "gut" aus, deshalb hatte ich vermutlich auch so Schwierigkeiten mit der Aufgabe. Ich musste mir eine Mutter vorstellen, die ihre Kinder im Krieg verloren hat oder einen Mann, der seinen Bruder beim Ertrinken zusehen musste oder ... oder ... und dachte, ist es dann nicht wie eine Schlag ins Gesicht, wenn ich so etwas in eine Liebe zum Schicksal ummünze? Ich glaube, dadurch dass die Großmutter auch derbe Züge hatte, konnte ich die Geschichte eher so erzählen wie ich sie erzählt habe.
Ich danke euch auch für eure Kommentare und finde es mal wieder bemerkenswert, wie jeder von uns die Aufgabe auf seine ganz eigene Weise gelöst hat. Und ich freue mich, Sanderling, dass ich es geschafft habe, dass ein Film vor deinem Auge entstehen konnte...
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