Mein Herz klopft laut, als ich vor dem Haus stehe. Kann ich überhaupt ein Blasinstrument spielen? Wie kann ich das herausfinden? Was, wenn ich direkt wieder vor die Tür gesetzt werde mit dem Vermerk, musst du in deinem Alter unbedingt noch ein neues Instrument lernen? Was, wenn ich nicht den Erwartungen von ihm entspreche und wegen Ungehorsam vor die Tür gesetzt werde? Ich fühle mich wie ein fünfjähriges Mädchen und habe weiche Knie. Vorsichtig drücke ich die Klinke herunter und öffne die Tür. Er ist abgelenkt durch sein Handy, murmelt kurz „Einen Moment bitte“ und ich frage mich, was tue ich hier eigentlich? Doch irgendetwas tief in mir will es wissen, will un-un-unbedingt diesen Unterricht, will diesem Instrument Töne aus der Tiefe der Seele entlocken. Ich möchte mich ausdrücken, einmal anders als mit Worten oder meiner Stimme.
Mir fällt die Schallplatte „Piccolo, Sax & Co“ ein, die ich als Kind so gerne gehört habe. Immer wieder habe ich der Vorstellung der unterschiedlichen Musikinstrumente auf dieser Platte gelauscht. Sie paradierten an mir vorbei und ich winkte ihnen freudig erregt zu. Musik – eine Sprache, die ihre eigenen Regeln hat und ihren eigenen Zauber.
„Sie möchten Saxophon spielen lernen?“ „Ja, das war schon immer ein Traum von mir. Meinen Sie, das geht in meinem Alter noch?“ „Ja klar, warum nicht. Hier, nehmen Sie mal dieses Mundstück in den Mund (ein Blättchen hatte er schon eingespannt) und versuchen Sie einen Ton herauszubekommen“. Nicht nur meine Seele quietscht. „Na bitte, klappt doch.“ Er gibt mir den Tipp eines Bläserstudios, in dem ich ein Saxophon kaufen kann, und eine Woche später geht es los.
Fünfzehn Jahre später komme ich wie jeden Freitagnachmittag aus der Musikschule. Ich habe improvisiert, wir haben uns unterhalten von Klavier zu Sax, er hat mir Noten von Bob Mintzer gegeben. Boptimism. Ich weiß, ich übe zu wenig, mein Saxophon und ich, wir sind immer noch nicht so eng wie das Klavier und ich, aber wir nähern uns weiter an. Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Manches braucht seine Zeit, auch unser Miteinander. Manchmal schickt er mir eine Nachricht: „Just keep on swinging…“
eine schöne Kurzgeschichte. ich kann nur zustimmen. Und den bleibenden Eindruck eines Musikstücks aus früher Zeit kenne ich auch: Keep on swinging, mit und ohne Sax.
Liebe anna, deine autobiografische Kurzgeschichte las ich mit Freude und Interesse. Wie gut kann ich das eine oder andere Gefühl das du beschreibst nachempfinden. Zum Beispiel das Gefühl zu haben, immer zu wenig geübt zu haben. Im Gegensatz zum Klavier, verbindet ein Blasinstrument für mich, den Menschen noch mehr mit seiner Seele. Der Atem fliest, oder stockt, reicht, oder eben nicht, für lange thematische Bögen, all das ist mir bekannt. Von Thema Ansatz ganz zu schweigen. Sehr gut gefällt mir auch die Brücke zu Beziehungen der Menschen. Das Miteinander braucht seine Zeit, ob zum gewählten Instrument oder in menschlichen Beziehungen. Es ist nie zu spät sich dieser Aufgabe zu widmen, in welcher Ausrichtung auch immer. Danke für deine Geschichte. Liebe Grüße der Sanderling
PS. In meiner Arbeit als Heilpädagoge habe ich regelmäßig das improvisierte Flötenspiel eingesetzt um schwerer behinderte Kinder auf zusätzlichen Wegen zu berühren oder zu wecken. In der Improvisation liegt sicher eine ganz besondere Kraft.
ich danke euch, dass ihr den Text mit mir geteilt habt. Ja, Sanderling, du hast vollkommen recht, auch die Sprache der Musik enthält Beziehung, Verbindung, Nähe, Distanz. Ähnlich wie bei der Natur handelt es sich dabei, glaube ich, um Universalsprachen.
Wir hoffen, dass dir unser Forum gefällt und du dich hier genauso wohlfühlst wie wir.
Wenn du uns bei der Erhaltung des Forums unterstützen möchtest, kannst du mit Hilfe einer kleinen Spende dazu beitragen,
den weiteren Betrieb zu finanzieren.
Deine Spende hilft!
Spendenziel: 144€
35%
Forum online seit 10.11.2013 Design by Gabriella Dietrich