Urak und der kleine Stern

Auf der Milchstraße drei Lichtjahre geradeaus, dann am Mars vorbei, Richtung großer Wagen, hinter einer Kometenwand wohnte Urak, der Sternenwart.
Seit unendlichen Zeiten war Urak zuständig für die Ordnung in der Sternenwelt. Zuverlässig sorgte er dafür, dass alle Sterne, die des Nachts Dienst haben, mit geputzten Lichtern erschienen. Er schlichtete Streit bei Eifersüchteleien und tröstete die Freunde, wenn einer der ihren als Sternschnuppe vom Himmel fiel. Urak galt als weise und hilfsbereit - und immer und zu jeder Zeit fand er ein freundliches Wort für seine Sterne.
Allerdings trug es sich zu, dass man Urak seit geraumer Zeit nicht mehr lachen sah, seine Freude war verflogen, seine Schultern hingen tief, der Gang wurde immer trauriger, sein Blick umwölkt und düster. Immer seltener ließ er sich bei den Sternen sehen. Und eines schönen Nachts erschien er überhaupt nicht mehr.

In einer kleinen Nebenstraße, schon fast eine Gasse, lebte ein kleiner Stern mit seinen Eltern. Er wuchs wild und frei heran und seine Eltern achteten sehr darauf, ihn mit liebevoller Zuneigung zu erziehen. Sie begegneten ihm mit Güte und lehrten ihn Achtung und Aufmerksamkeit für seine Umwelt.
Neugierig erkundete der kleine Stern Nacht für Nacht den Abendhimmel, bis er sich in einer sehr langen Nacht in den Weiten und nicht enden wollenden Dimensionen des Weltalls verlief. Schließlich stand er vor dem Wärterhäuschen. Die Tür war verschlossen, eine Lichtschranke sollte den Zugang verwehren.
Der kleine Stern ließ sich nicht aufhalten und kroch darunter durch. Hinter dem Häuschen saß Urak auf einer uralten Bank, starrte durch ein riesiges Teleskop und schüttelte von Zeit zu Zeit entsetzt seinen Kopf. „Das darf doch nicht wahr sein. Das gibt es doch nicht“, murmelte er vor sich hin. „Kann da nicht mal jemand einschreiten? Alle Sterne am Himmel sollte man abschalten und den Mond bedecken.“
„Was ist Väterchen?“, fragt der kleine Stern vorsichtig, nachdem er sich dem Sternenwart langsam genähert hatte: „Warum bist du so zornig?“
Erstaunt blickte sich Urak um. Seine Gesichtszüge milderten sich etwas: „Sieh selbst!“, sagte er zu dem Kleinen und zog ihn auf seinen Schoß, damit er durch das Teleskop sehen konnte. „Diese Menschen haben nichts Besseres im Sinn, als sich mit Bomben zu beschießen, ihre Welt in Trümmer und diese ganze wunderschöne Erde in Schutt und Asche zu legen. Innerhalb eines einzigen Jahrhunderts ist es ihnen gelungen, die Natur auszubeuten und zu zerstören. Es würde Millionen Jahre dauern, um alle Spuren und Folgen zu beseitigen. Wieso schickt der liebe Gott keine neue Sintflut und räumt wieder einmal auf bei

diesem Gesindel?“ Er holte tief Luft und wischte sich die Schweißtropfen und ein paar Tränen von seinem, vor Aufregung gerötetem Gesicht. „Neid, Hass, Missgunst, Macht- und Raffgier, das sind ihre Vorbilder. Lügen, Lügen, Lügen wohin man auch sieht. Verstehst du, was ich meine?“
Eigentlich hatte Urak keine Antwort erwartet. Aber der kleine Stern erwiderte: „Schau, liebes Väterchen, nicht alle Menschen sind böse. Siehst du das Pärchen dort im Park. Sie halten sich an den Händen und ihre Augen strahlen vor Glück. Und dort, wie liebevoll die alte Frau ihre Blumen im Garten pflegt und versorgt. Es gibt noch viele, viele Menschen reinen Herzens, schau nur die Kinder, wie sie leuchten vor Freude. Dort versorgt ein Sohn dankbar seinen alten, gebrechlichen Vater und die Mädchen auf der Wiese, sie singen fröhliche Lieder und tanzen dazu im Kreis.“
Staunend und überrascht betrachtete der weise Alte den kleinen Stern. „Was bist du nur für ein kluges Kerlchen. Eigentlich hätte ich es mir ja denken können. Auf dich wartet eine große Aufgabe.“ Ein erstes zaghaftes Lächeln huschte über das Gesicht des Sternenwartes. Er entspannte sich zusehends. „Hast du auch eine Idee, was wir dazu beitragen können, damit für jene Menschen, die guten Willens sind, das Leben ein wenig leichter und schöner wird?“
„Aber ja“, sagte der kleine Stern: „Wenn es mir nicht gut geht, nimmt mich meine Mutter in den Arm, sagt mir, dass sie mich lieb hat und singt mir ein schönes Lied vor. Wir könnten doch für sie leuchten, wir könnten ihnen die Kraft schicken, die sie brauchen, um nie die Hoffnung, die Freude und den Glauben zu verlieren und mit unseren Sternengesängen könnten wir sie in Liebe hüllen.“
„Genauso werden wir das machen, kleiner Stern“, meinte da Urak und fing an ein Lied anzustimmen. Alle Sorgen, alle Pein waren von ihm abgefallen, als hätte es sie nie gegeben. Er nahm den kleinen Stern bei der Hand und singend brachte er ihn nach Hause. Zum Vater des Kleinen, dem hellsten Stern am Himmel, dem Abendstern, sagte er: „Du wirst in deinem Sohn eines Nachts einen würdigen Nachfolger haben. Er leuchtet heute schon heller als andere.“
Von nun an herrschte wieder Ruhe und Ordnung und nur manchmal, wenn die Sterne tanzten, sah es aus, als wirbelte der Nachthimmel durcheinander.
Urak aber, versah wieder voller Freude und mit einem wissenden Lächeln seinen Dienst.

Liebe Clara,

es gibt eine Studie, nach der 90% aller Kinder hochbegabt sind. Nach der Grundschule sind es dann nur noch 10%. Kinder werden immer wieder unterschätzt, dabei ist es nachgewiesen, dass Kinder eine größere Merkfähigkeit haben als Erwachsene, was sie z.B. beim Memory-Spiel beweisen. Nun frage ich mich wodurch wird die Begabung der Kinder eingeschränkt? Verwirrende Phantasien könnten auch einen Anteil daran haben. Deine wunderschöne Phantasiegeschichte ist auch eine Lektion für Beurteilungen und Verhalten. Mir gefällt die Vermenschlichung der Welt und die Geschichte, die Du hier sehr gut ausgeführt hast.

LG Hans

Ach, lieber Hans,

das sollte jetzt kein Plädoyer für hochbegabte Kinder sein. Die Sternkinder sind allesamt sehr gescheit.
Aber ein bisschen Schelte für uns Menschenvolk ist schon dabei. Und ansonsten einfach nur ein Märchen.

Es freut mich sehr, dass es dir gefällt. Und danke für deine Gedanken und dein Lob.

Fröhliche Adventsgrüße
Clara

Liebe Clara,
trotz des erhobenen Zeigefingers und des etwas altklugen kleinen Sterns mag ich deine Kurzgeschichte gern, die Idee ist ganz entzückend.
Herzliche Grüße,
Heliane.

Liebe Clara,
wenn diese Zeit im Advent etwas bewirken kann, dann geschieht dies durch die Überzeugung und Hoffnung darauf, dass die Menschheit, trotz allem, eben noch nicht verloren ist.
Dir gelingt es mit deiner sehr ansprechenden, liebevollen Geschichte phantastisch, genau diese Stimmung zu erzeugen und mit dem Sternentanz am Himmel Lichter der Freude zu senden. Das ist ausgesprochen schön!
Vielen Dank.
der Sanderling

Liebe Clara, was für eine rührend schöne Geschichte für Groß und Klein. Danke
LG Heike

Hallo Heliane,

es freut mich sehr, dass dir meine kleine Geschichte gefällt.

Hallo Sanderling,

vielen Dank für deinen tollen, positiven Kommentar.

Liebe Heike,

auch dir, lieben Dank für deine Worte.

Lieber Thomas,

was für eine prima Idee. Ich nehme einfach beide Versionen. So habe ich ein Märchen und eine echte Weihnachtsgeschichte.

Ich danke euch vielmals für so viel Lob und Zuspruch, wünsche euch eine schöne Zeit für die letzten paar Tage vor Weihnachten und
herzliche Grüße
Clara

Liebe Clara,

auch ich mag dein Märchen sehr.
Es sind die Kinder und deren Kinder
auf denen die Hoffnung dieser Welt ruht.
Wir "Erwachsenen" kriegen es offensichtlich nicht hin.
Irgend jemand hat mal gesagt: "Kinder streiten sich oft, vertragen sich aber
auch schnell wieder. Warum? Weil ihnen Glück wichtiger ist als Stolz."
Das kann ich fast jeden Tag in meiner Tätigkeit als Grundschullehrer beobachten.
Diese Fähigkeit haben sie uns voraus - sie wissen oft besser, worauf es wirklich ankommt.

Ich beglückwünsche dich zu deinem wunderbaren Märchen!

Liebe Grüße

Michael

Vielen Dank, lieber Michael, und verzeih meine viel, viel zu späte Antwort.
Ich war ziemlich lange weg.

Ja, wir Erwachsenen kriegen es offensichtlich nicht hin. Heute sieht man dies mehr denn je.
Es sind die Kinder, die angefangen haben für unsere Welt zu kämpfen. Dieser kleine Stern
war ihnen nur einen Schritt voraus.

Es freut mich wirklich sehr, dass dir mein Märchen gefällt.

Mit lieben Grüßen
Clara