Frühlingsbeginn -
Gras wächst im Garten
über alte Gräben

Lieber Wolfgang ,
von Haikus habe ich leider keine Ahnung, entweder mir gefällt ein BILD oder es gefällt mir nicht. Dein Bild gefällt mir sehr gut!
Herzliche Grüße,
Heliane.

@ Thomas: Die Schwalben sind noch nicht da, reicht auch eine Meise ?
Grüßle,
Heliane.

Lieber Wolfgang,

Haikus zu schreiben, finde ich sehr schwierig. Dein Bild ist auch symbolisch sehr vielschichtig und spricht mich an. Ich pflichte übrigens Thomas Änderungsvorschlag bei...

Alles Liebe

anna a.

Hallo Leute,

"Beobachtung" ist ein gutes Stichwort. Ich wüsste aber nicht, was gegen Feststellungen oder Kommentare sprechen soll? Lässt man jetzt bloß noch Vögel singen - als Anspielung auf Jahreszeiten, wird das auch langweilig. Ich habe, zum Beispiel, etliche Frühlingshaikus geschrieben, in denen Lerchen singen. Irgendwann wurde es mir zuviel mit den Lerchen. Zudem haben die japanischen Klassiker auch Umschreibungen wie "Frühlingsanfang" gewählt. Der Abwechslung halber kann man Feststellungen und Beobachtungen sich miteinander abwechseln lassen.

Als Alternative kann ich Euch folgende Version anbieten:

Lerchen singen -
Gras wächst im Garten
über alle Gräben


Nun zum Haiku selbst:

Ein Sprichwort sagt: Jedes Ding hat zwei Seiten. Das ist, einfach gesprochen, was einen Haiku ausmacht. Ich weiß, dass ich hier stark vereinfache, aber ich will auch keine Doktorarbeit schreiben.

Nimmt man aber den Hinweis mit den zwei Seiten ernst, wird Haiku dichten einfach. Man fragt sich einfach, was die zwei Seiten einer Sache sind.

Einer meiner Vorbilder ist Buson. (Die Haiku-Experten kennen ihn.) Wer er war und wann er gelebt hat, soll jetzt hier nicht interessieren. Wichtig ist, dass mir an seinen Haiku aufgefallen ist, wie man schreiben kann. Dazu Beispiele aus dem Buch: Haiku, das im Fischer-Verlag erschienen ist.

Buson steht darin mit folgendem Beispiel:

Ich gehe,
du bleibst;
zweimal Herbst


Jeder erlebt den Herbst anders, wer bleibt, hat eine andere Sicht auf ihn, als derjenige, der geht. Und natürlich umgekehrt. Wichtig ist: Der Herbst besitzt zwei Seiten, die - je nach Standpunkt - anders wirken.

Und damit es noch ein Stückchen klarer wird:

Herbstabend -
selbst in der Einsamkeit
eine Freude


Unter einem Herbstabend versteht man normalerweise: Einsamkeit, Öde, Krankheit. Aber das ist ebenfalls von der Stimmung abhängig! Selbst ein Regentag kann für jemanden Glück bedeuten. Es sind die Empfindungen, die den Dingen zwei Seiten geben. Und wenn man diese beiden Seiten darstellt, hat man ein Haiku.

Ich hoffe, das ist einfach und verständlich? Wenn nicht, will ich es noch einmal versuchen. (Ich habe hier nur so erklärt, wie ich es verstanden habe.)

Was meint Ihr dazu?

Bis dann!

Wolfgang


Hier ist noch der Link zum Buch, aus dem ich zitiert habe:

http://www.fischerverlage.de/buch/haiku/9783596521081

lieber Wolfgang

Dein Haiku gefällt mir wirklich sehr gut. Es erzählt mir eine ganz persönliche Geschichte. Diese besondere Feststellung vom Frühlingsbeginn macht Dein Haiku für mich besonders rund. Es steht für mich für ein Neubeginn. Nichts ist mehr durchsichtig und kahl. Selbst alte Gräben wachsen zu und ein froher Blick in die Zukunft kann beginnen.
Auch ich liebe die alten Haikudichter und ich freue mich Dich hier begrüßen zu können.
herzlich Ilona

Hallo Ilona,

danke für Deine Begrüßung. Du hast den Inhalt gut erkannt. Damit aber kein Missverständnis aufkommt: Ich bin KEIN Haiku-Experte. Ich muss noch viel lernen, teile aber mein Wissen gerne mit anderen. Auf einen regen Austausch freue ich mich ebenfalls.

Frohe Ostern!

Wolfgang

Hallo Thomas,

Du sprichst mehrere Dinge an, über die sich ausführlich - und mit Gewinn - diskutieren ließe. Imma von Bodmershof war eine österreichische Haik-Dichterin, die selbst in Japan geschätzt worden ist. Ich selbst habe ihr Buch "Haiku" gelesen, das im DT-Verlag erschienen ist. Dieses Buch kann ich - ganz allgemein - empfehlen. Im Anhang dieses Buches ist auch eine Studie ihres Mannes, Wilhelm, der sich kluge Gedanken über den Aufbau von Haikus gemacht hat. "Klug" in dem Sinne, dass er Muster erkannt hat, nach denen Haikus geschrieben werden. In einem Deiner Kommentare, zu einem anderen Gedicht, hast Du einige Stichworte aufgezählt, die zu einem guten Haiku gehören. Das hat schon vor Dir Wilhelm von Bodmershof erkannt. Da sich seine Einschätzungen gehalten haben, kann man, bei ihm, durchaus von einem Experten sprechen.

Natürlich besitzen wir Europäer einen anderen kulturellen Hintergrund. Was kennen wir schon von Buddhismus? Ich habe in der Schule etwas darüber gelesen - aber das ist einige Jahre her. Der Haiku gehört zur japanischen Kultur, wie das Epigramm zur deutschen Literaturgeschichte. Witzig: Als die ersten Haikus in Deutsche übersetzt wurden, dachte man, das Haiku sei eine Art Epigramm und hat es auch so verstanden. Heute ist unser Verständnis, was ein Haikus ist, wesentlich schärfer geprägt. Ich vermute, ein Europäer wird nie den Geist verstehen, der hinter einem Haiku steckt, so wie auch nie ein Japaner den Geist verstehen wird, der hinter dem Epigramm steckt. Soll aber ein Japaner deshalb keine Epigramme schreiben?

Ich selbst bin kein Verfechter der 5-7-5-Form. Natürlich verstehe ich Deinen Standpunkt, finde ihn jedoch abstrakt. Der Grund ist der: Ich selbst bin pragmatisch eingestellt. Für mich zählt, was funktioniert. Natürlich kann man diskutieren, aber ein Gedicht, egal welche Form es auch hat, muss als ein Gedicht funktionieren. Das ist ähnlich wie bei einem Auto. Es gibt unterschiedliche Typen, aber der Motor muss laufen und es braucht Räder und einen Untersitz. Fehlt eines davon, bringt alles theoretisieren null.

Du sprichst vom Hexameter, nehmen wir allgemein das Versmaß: Gestern habe ich ein Gedicht von Heidi gelesen - mir hat es gefallen. Dann aber hieß es, das Gedicht sei nicht gut, weil es nicht die Erfordernisse der Spencerstrophe erfüllt. Gut, das mag sein. Schriebe man das Gedicht aber in Prosa, wäre es gut. Das finde ich paradox: ein - an sich gutes Gedicht - ist schlecht, weil das Versmaß nicht stimmt. Beim Haiku gibt es kein Versmaß, nur die Silbenzählung. Du weißt sicher, dass die Japaner Moren zählen und keine Silben? Zudem schreiben sie ihre Haikus in einer Zeile und nicht in drei, wie bei uns. Somit ist der Maßstab, der bei uns gilt, ein willkürlicher.

Ich kann mir denken, dass Du einwenden wirst, es führt zur Uferlosigkeit, wenn man sich nicht an Vorgaben hält. Dazu ein Beispiel: In einem anderen Forum hatte ich mal eine Diskussion mit einem Teilnehmer, weil er ein Elfchen geschrieben hatte. Das Problem: Es waren zwölf, statt elf, Wörter. Ich muss dazu sagen, dass zwölf Wörter gepasst haben. Hätte man ein Wort gestrichen, wäre das Gedicht schlecht geworden. (Das spricht eigentlich für ein Gedicht - oder?) Jedenfalls, war derjenige der Meinung, man könne ein Elfchen auch mit zwölf Wörtern schreiben. Ich war damals anderer Ansicht und bin es noch heute. Insofern hast Du Recht, wenn man Haikus schreibt, muss man die 5-7-5-Regel einhalten.

Vom praktischen Standpunkt aus, hast Du aber unrecht. Es ist so wie mit dem Elfchen. Manchmal braucht es zwölf Wörter, statt elf, damit das Gedicht überzeugt. Ob das dann noch ein Elfchen ist oder einfach nur ein freies Gedicht, mag interessant sein - ich meine das ohne Ironie - aber andererseits: was für eine Rolle spielt das? Ein Gedicht muss überzeugen, egal, in welche Schublade es nun gehört. Und das ist der Grund, warum ich die 5-7-5-Regel nicht einhalte. Nicht immer einhalte, ich habe auch Haikus geschrieben, die der Regel entsprechen. Aber das sind Beispiele, wo Inhalt und Form einander ergänzen.

Zum letzten Punkt: Bisher war es so, dass ich Phrasen verwendet habe. (Frühlingsbeginn). Von anderen Autoren weiß ich, dass es in Japan üblich ist, Einführungswörter und Kopfkissenwörter zu verwenden, das sind stehende Redewendungen und Begriffe. Die Japaner haben eine Vorliebe für Kirchblüten und es gibt Phrasen, wie: Zur Kirchblüte und ähnliches. Ja, das ist abstrakt, aber die Forderung, man dürfe nicht abstrakt schreiben, halte ich ebenso für abstrakt. Zumal unsere Vorbilder, die Japaner, abstrakt schreiben. An der Stelle muss ich natürlich einwenden, dass es auch bei Ihnen unterschiedliche Stile gibt. Natürlich gab und gibt es auch bei Ihnen Diskussionen darüber, was erlaubt sein sollte und was nicht. Um mal ein Beispiel zu nennen: Der Wandermönch Basho gab dem Haiku eine religiöse Note, weil ihm die Haikus der anderen Autoren zu verspielt war. Das galt bis ein anderer Autor sagte, Basho habe schlechte Haiku geschrieben und es gälte, mehr bildhalft zu schreiben. Das war Shiki, mit dem ich mit ausführlich beschäftige. Selbst Haiku-Experten sind nicht immer einer Meinung.

Wenn ich richtig verstehe, dann gibt es bei den Japanern unterschiedliche Stile und Ansichten. Es gibt nicht "das" Haiku. Aus dem Grund orientieren sich Haiku-Schüler an unterschiedliche Meister. Die einen bevorzugen Basho, andere Buson, wieder andere Issa und ganz andere: Shiki. Wer hat nun recht?

Ich bin mir sicher, dass wir beide uns NIE einigen werden; mag sein, dass wir in einigen Punkten ähnlich ticken werden, aber wir denken zu verschieden. Ich selbst bin kein Missionar - und ich glaube - Du auch nicht. Also werden wir damit leben müssen, dass wir unterschiedliche Ansichten vertreten. Ich werde mein Haiku ändern und dieses Mal nicht "Frühlingsbeginn" schreiben. Aber das gilt nur für dieses eine Haiku. Wenn es passt, werde ich die Phrase verwenden. Aus dem einfachen Grund: weil es passt und weil Japaner auch Phrasen verwenden.

Nein, ich störe mich nicht an dem Ton Deiner Kommentare. Wir haben unterschiedliche Ausdrucksweisen und Persönlichkeiten, das ist eben so.

Bis dann!

Wolfgang



Zu Imma von Bodmershof:

https://de.wikipedia.org/wiki/Imma_Bodmershof


Hier zur Einführungswörter und Kopfkissenwörter:

https://de.wikipedia.org/wiki/Man%E2%80%...torische_Mittel

Lieber Wolfgang,
schon wieder habe ich deine Gedanken zum Haiku mit großem Interesse gelesen. Ich glaube, ich muss sie allmählich sammeln und sage ganz schlicht mal Danke für die große Mühe, die du dir gibst .

Mein Beitrag passt nicht ganz in den Faden, aber weil du das Beispiel "Elfchen" erwähnst, muss ich meinen Senf dazu geben. Ein Elfchen, sowie alle anderen Strophenformen auch, unterliegen einer unumstößlichen Regelmäßigkeit und das ist gut so. Wenn nun ein Dichter aus einem Elfchen ein "Zwölfchen" macht, dann hat er kein Elfchen geschrieben, kannst du mir zustimmen? Wenn Elfchen drauf steht, solls auch drin sein .
So gehts mit allen klassischen Strophenformen, auch der Spenserstrophe, die Heidi nicht ganz gepackt hat. Stünde ihr Gedicht einfach nur so im Musengarten, gäbe es keine Kritik, denn es liest sich sehr locker und leicht. Aber es sollte eine Spenserstrophe werden, die, siehe oben, strengen Regeln unterliegt.
Unsere Dichtergruppe "Die Glühbirnen" hat es sich zum Ziel gesetzt, alte Formen zu bewahren, zu beleben und mit moderner Sprache zu füllen. Das ist manchmal nicht ganz einfach, schult aber das Gefühl für unsere Sprache ungemein. Und es lehrt und festigt die Kunst, feste Regeln zu akzeptieren, nicht, sie umzustoßen. Eine Strophenform, die sinnvoll, bildreich, in ausdrucksstarker Sprache und nach klassischen Regeln zu neuem Leben erweckt wird, besticht sogar "Regelmuffel" .

Herzliche Grüße
Heliane.

Hallo Heliane,

ja, wenn einer zwölf Wörter für ein Elfchen braucht, hat er kein Elfchen geschrieben, sondern ein freies Gedicht. Das habe ich demjenigen schon damals - vor einigen Jahren - gesagt. Ich habe nichts gegen Regeln und Formen. Sollte dieser Eindruck entstanden sein, entschuldige ich mich dafür - ich wollte diesen Eindruck nie erwecken. Diese Diskussion kam eigentlich nur im Zusammenhang mit den Haiku auf. Kann sein, dass hier unterschiedliche Bereiche miteinander verwischt sind. Aber Du sagst ja selbst, wäre Heidis Gedicht einfach nur ein Gedicht, würde es überzeugen. Das ist die gleiche Denkrichtung, die ich eingeschlagen habe.

Frohen Abend!




Hallo Thomas,

ich bin kein Richter. Ich kann mir Deine Haikus durchlesen und sagen, ob sie mich überzeugen oder nicht. Was ich bisher von Dir gelesen habe, fand ich anregend. Du kennst Imma von Bodmershof und die Studie ihres Mannes - damit hast Du bereits viel Hintergrundwissen. Da ich nicht alle Deine Haikus kenne, kann ich nicht beurteilen, ob Dein Gefühl Dich trügt oder nicht. Wenn es Dir hilft: Ich finde auch nicht alle meine Haiku gelungen. Es kommt oft, dass ich welche - nach gewisser Zeit - in den Müllkorb ablade. Auch weiß ich jetzt bereits, dass nicht alle Haikus, die ich für mein Tagebuch schreibe, am Ende, übernehmen werde. Und die, die es in die engere Auswahl schaffen, müssen sicher noch einen Feinschliff über sich ergehen lassen.

Wenn wir - bezüglich der Form - ähnlich ticken, ist doch alles bestens!

Ich freue mich, wenn alle Unklarheiten beseitigt sind!


Euch allen einen schönen Abend!

Wolfgang