Du siehst, wohin du siehst, // nur Eitelkeit auf Erden. Was dieser heute baut, // reißt jener morgen ein: Wo itzund Städte stehn // wird eine Wiese sein, auf der ein Schäferskind // wird spielen mit den Herden.
Was itzund prächtig blüht, // soll bald zertreten werden. Was itzt so pocht und trotzt, // ist morgen Asch und Bein. Nichts ist, das ewig sei, // kein Erz, kein Marmorstein. Itzt lacht das Glück uns an, // bald donnern die Beschwerden.
Der hohen Thaten Ruhm // muß wie ein Traum vergehn. Soll denn das Spiel der Zeit // der leichte Mensch bestehn? Ach! was ist alles diß // was wir vor köstlich achten/
Als schlechte Nichtigkeit // als Schatten/ Staub vnd Wind; Als eine Wiesen-Blum // die man nicht wider find’t. Noch wil was ewig ist // kein einig Mensch betrachten!
Andeas Gryphius
Die Verszeile des Alexandriners ist ein sechshebiger Jambus, wobei nach dem dritten Versfuß eine Zäsur stehen muss – im obigen Gedicht durch // markiert.
Wahrscheinlich stamm der Name des Verses von dem in diesem Metrum Ende des 12. Jahrhunderts geschrieben "Alexander-Roman".
Der Alexandriner kommt aus Frankreich und war der Renaissance-Zeit sehr weit verbreitet. Die Tragödien und Dramen der französischen Klassiker, von Pierre Corneille, Racine, Moliere und selbst noch von Victor Hugo im 19. Jahrhundert, sind in paarreimigen Alexandrinern geschrieben.
Im Barock kam der Alexandriner nach Deutschland, trat jedoch sehr bald in den Hintergrund, vor allem weil sich bei Theaterstücken, initiiert durch Gotthold Ephraim Lessing, der Blankvers nach Shakespeares Vorbild durchsetzte.
Als Johann Wolfgang Goethe Voltaires Stück "Mahomet" in Deutsche übertrug, nutzte er den Alexandriner, worauf Friedrich schieb: "Die Eigenschaft des Alexandriners, sich in zwei gleiche Hälften zu trennen, und die Natur des Reims, aus zwei Alexandrinern ein Couplet zu machen, bestimmen nicht bloß die ganze Sprache, sie bestimmen auch den inneren Geist dieser Stücke, die Charaktere, die Gesinnung, das Betragen der Personen. Alles stellt sich dadurch unter die Regel des Gegensatzes, und wie die Geige des Musikanten die Bewegungen der Tänzer leitet, so auch die zweischenklige Natur des Alexandriners die Bewegungen des Gemüts und der Gedanken. Der Verstand wird ununterbrochen aufgefordert und jedes Gefühl, jeder Gedanke in dieser Form wie in das Bette des Prokustes gezwängt".
In einem Distichon schrieb Schiller über den von ihm offensichtlich nicht sehr geschätzten Alexandriner: "In das Gewölk hinauf sendet mich nicht mit Jupiters Blitzen, Aber ich trag euch dafür ehrlich zur Mühle den Sack."
Schiller steht mit seiner Auffassung nicht allein. Auch Hans Magnus Enzensberger stellte bei der Übersetzung von Molieres "Menschenfeind" fest, dass "der Alexandriner im Deutschen nicht für das Theater taugt." Das hänge mit der "syntaktischen Struktur unserer Sprache zusammen, die sich den Symmetrieforderungen dieses Versmaßes widersetzt."
Heute wird der Alexandriner kaum noch verwendet und wirkt eher komisch, als erhaben, was jedoch nicht ausschließt, dass man diese Form für bestimmte Zwecke nutzen kann, z.B. wenn ein kühler und stabiler Gemütszustand ausgedrückt werden sollt.
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