Sie schwieg, als ihre Mutter sie Schlampe nannte. Sie schwieg, als ihr Vater sie schlug. Sie schwieg, als man ihr das Kind wegnahm. Sie schwieg, als ihr Mann wieder betrunken war. Sie schwieg, als sie ihr Mann prügelte. Immer wieder. Sie schwieg, als sie ihn mit neunzehn Messerstichen tötete.
Lieber Thomas, einen spannenden Aufbau wählst du für deinen Text. 19 Messerstiche als Ausbruch des Vulkans des Schweigens schienen absehbar. Der Druck stieg während des Lesens spürbar. Herzliche Grüße der Sanderling
das habe ich durch das Stilmittel der Wiederholung zu bewirken versucht. Erfahren und begriffeln habe ich das erstmals durch die Rezitation der Ballade "Edward". Ich hänge sie mal an.
Liebe Grüße Thomas
P.S.: Johann Gottfried von Herder Edward Schottisch
Dein Schwert, wie ist's von Blut so rot?
Edward, Edward! Dein Schwert, wie ist's von Blut so rot, Und gehst so traurig her? - O! O ich hab geschlagen meinen Geier tot, Mutter, Mutter! O ich hab geschlagen meinen Geier tot, Und keinen hab ich wie Er - O!
Dein's Geiers Blut ist nicht so rot, Edward, Edward! Dein's Geiers Blut ist nicht so rot, Mein Sohn, bekenn mir frei - O! O ich hab geschlagen mein Rotroß tot, Mutter, Mutter! O ich hab geschlagen mein Rotroß tot. Und 's war so stolz und treu - O!
Dein Roß war alt und hast's nicht not, Edward, Edward! Dein Roß war alt und hast's nicht not, Dich drückt ein ander Schmerz - O! O ich hab geschlagen meinen Vater tot, Mutter, Mutter! O ich hab geschlagen meinen Vater tot, Und weh, weh ist mein Herz - O!
Und was für Buße willt du nun tun? Edward, Edward! Und was für Buße willt du nun tun? Mein Sohn bekenn mir mehr - O! Auf Erden soll mein Fuß nicht ruhn, Mutter, Mutter! Auf Erden soll mein Fuß nicht ruhn, Will gehn fern übers Meer - O!
Und was soll werden dein Hof und Hall? Edward, Edward! Und was soll werden dein Hof und Hall? So herrlich sonst und schön - O! Ich laß es stehn, bis es sink und fall, Mutter, Mutter! Ich laß es stehn, bis es sink und fall, Mag nie es wieder sehn - O!
Und was soll werden dein Weib und Kind? Edward, Edward! Und was soll werden dein Weib und Kind, Wann du gehst über Meer? - O! Die Welt ist groß, laß sie bettlen drin, Mutter, Mutter! Die Welt ist groß, laß sie bettlen drin, Ich seh sie nimmermehr - O!
Und was willt du lassen deiner Mutter teur? Edward, Edward! Und was willt du lassen deiner Mutter teur? Mein Sohn, das sage mir - O! Fluch will ich Euch lassen und höllisch Feur, Mutter, Mutter! Fluch will ich Euch lassen und höllisch Feur, Denn Ihr, Ihr rietet's mir! - O!
Genau, lieber Thomas, die Wiederholungen lassen für mich das Gedicht bedrohlich erscheinen, doch der größte Sprachtrick , den du hier aus meiner Sicht anwendest, steckt in den letzten beiden Zeilen., die folgerichtig von den anderen Zeilen getrennt stehen. Denn hier wird das Opfer Klassischerweise zur Täterin , behält aber das Muster des Schweigens bei. Und das löste bei mir die stärkste Beklemmung aus.
Lieber Thomas, sehr eindringlich wirkt dein Gedicht. Du triffst mit deinem Stil mitten in den Kern einer Traumatisierung, weil bei diesem Schweigen einfach die Worte fehlen. Und nun? Nun folgt ein tausendfacher Aufschrei. Wenn jetzt jemand annimmt, diese Frau träfe in der heutigen Zeit auf Verständnis, der wird enttäuscht sein. Noch immer wird eine Frage im Raum stehen, "warum haben sie geschwiegen und sich nicht gewehrt?" Und das ist für ein fortschrittlich, gebildetes Land eine Schande.
Wir hoffen, dass dir unser Forum gefällt und du dich hier genauso wohlfühlst wie wir.
Wenn du uns bei der Erhaltung des Forums unterstützen möchtest, kannst du mit Hilfe einer kleinen Spende dazu beitragen,
den weiteren Betrieb zu finanzieren.
Deine Spende hilft!
Spendenziel: 144€
35%
Forum online seit 10.11.2013 Design by Gabriella Dietrich