Lieber Thomas,
einen schönen Text hast du uns da eingestellt. Er scheint widersprüchlich. Dennoch, die Fähigkeit, sich selbst zum Objekt der Betrachtung zu machen UND Bilder zu finden, die darüber hinaus mehr als den eigenen, erlebten Affekt transportieren, bleibt das Ziel. Ich musste dennoch erleben, dass die positiven Reaktionen häufig auf den Bildern beruhen, die sehr stark mit dem Affekt spielen. Aber, der Mensch ist ja auch häufig genug Voyeurist. Vielleicht sollte man diese Stimmen dann auch nicht überbewerten.
herzliche Grüße,
..und danke für deine Mühe!
der Sanderling

Lieber Thomas,

vielen dank für den Text von Schiller, den ich wie immer sehr interessant finde. Ich fände es spannend, seine Vorstellung von Dichtern einmal mit denen der Moderne zu vergleichen, zum Beispiel Hilde Domin. Irgendwann wird mir vielleicht der liebe Gott Zeit schenken, dass ich mich mit diesem Thema auseinandersetzen darf.

Zum Thema Einnahme von Drogen : Viele Künstler nahmen nicht zwingend Drogen, um im Rausch ihre Kunstwerke zu fertigen, sondern es ging und geht ihnen um Grenzerfahrungen und Bewusstseinserweiterung. Es gibt sogar traditionelle medizinische Rituale wie die Ayuasca-Rituale, die Menschen befähigen sollen, Dinge zwischen Leben und Tod wahrzunehmen, um mit diesem Wissen später heilen zu können. Nun denn, meins ist es definitiv nicht, aber es zeigt, dass es zunächst um die Erfahrung geht und dann um die Herstellung der Kunst aus der Distanz mit genau dem Wissen. Und war es nicht Schiller, der sich an den Ausdünstungen fauler Äpfel fraglich berauschte?

Nichtsdestotrotz hat die Kreativitätsforschung herausgefunden, dass wir Menschen einen gewissen Grad der Destabilisierung für unsere Kreativität benötigen. Bin ich in einer stabilen Lebensphase ohne jeglichen Zweifel wird mir vermutlich der Impetus zur Kunst fehlen. Wir bewegen uns also auf diesem schmalen Grad zwischen Zweifel und Gewissheit, zwischen überschießender Emotion und Gelassenheit, wenn wir schreiben, das glaube ich. Befinde ich mich in einem akuten Schockzustand, weil mein Kind gerade gestorben ist, werde ich natürlich nicht schreiben können. Ich benötige etwas Distanz zu dem Ereignis, doch nicht zuviel. Gerade im Schreiben liegt der Zauber des Heilsamen, ich kann mich im Schreiben stabilisieren und ich glaube auch, dass das viele Künstler tun. Ob Schiller dazu zählt, vermag ich nicht zu beurteilen. Und ich frage mich in dem Zusammenhang auch, wann ist denn wohl der " gegenwärtige Affekt" verklungen, so dass wir ihn " schön versinnlichen" können? Wer bestimmt diesen Zeitpunkt? Und handelt es sich dabei nicht um innere Prozesse, also um etwas Fließendes und nichts Statisches, dass ich gleichsam abhaken kann, um lyrisch tätig zu werden?

Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass Worte, wenn sie berühren, aus unserem tiefsten Inneren stammen. Sie müssen wie gesagt nicht akut erlebt worden sein, aber das Fühlen, das spürt der Leser*in und das transportiert sich in dem Raum hinter dem Wort.

Zusammenfassend gebe ich dir absolut recht, dass der Dichter nicht nur sich selbst geben darf, sondern der Leser gerade von der Bearbeitung der Gefühle und den dadurch gewonnenen Erkenntnissen profitieren kann. Poesie bleibt für mich die Verdichtung meines Erlebnishorizontes mit Bildern, die sich aus mir speisen, die aber dem Leser Raum schenken, neue Perspektiven einzunehmen. Und den Leser sanft dort in diese neuen Räumen hineinzuführen, das ist für mich die hohe Kunst.

Ich danke dir immer wieder sehr für diese Impulse, die mich dazu bringen, mich dem Thema neuerlich zu nähern und auseinanderzusetzen.

alles Liebe

anna a.

Lieber Thomas,

ich finde es in diesem Zusammenhang interessant, dass du von Freiheit sprichst. Mir fiel nämlich beim Nachdenken auf, dass es das Gefangensein in einem Affekt ist, dass das Schreiben sicher erschwert. Für mich bewirkt Schreiben in solchen Momenten genau das: es befreit mich aus meinem Gefangensein und schenkt mir neue Lösungsansätze. Vielleicht ist es das, was Schiller ausdrücken wollte.

Darüber hinaus fällt mir noch ein, dass Schiller sich auf das Veröffentlichen von Gedichten bezieht, ich aber vom Schreiben allgemein gesprochen habe. Unter einem Schock stehend würde ich vermutlich nur in einem Tagebuch schreiben. Irgendwann könnte dann durch die Überarbeitung des Textes eine Verarbeitung des Geschehens erfolgen. Es ist interessant, darüber nachzudenken..

Liebe Grüße

anna a.

Lieber Thomas,

einen ekstatischen Zustand oder gar höchsten Affekt halte ich nicht für eine gute Grundlage für Poesie, weil ich denke dass hieraus nur kurze meist Gefühlbeladene Ausdrücke zustande kommen. Für längere Abhandlungen sei es eine Geschichte, ein Dialog, eine Erklärung mit Begründung, eine Weisheit oder ein Rätsel usw., ist immer auch eine suchende Denkarbeit erforderlich. Gefühlsbeladene Poesie, besonders mit gut gewählten Worten, die oft vergleichend Emotionen wecken, erzeugen Mitgefühl, wodurch dann auch die Poesie nach dem Gefühl und nicht nach der Logik (Wert der Aussage) beurteilt wird. Nach meinem Dafürhalten hat sowohl das, was aus dem Gefühl kommt (auch Dramatik) wie auch die sachlich logische Aussage eine gleichwertige Berechtigung. Allerdings ist auch kaum zu übersehen dass meist das Gefühl bevorzugt wird und Sachlichkeit, weit mehr interesseweckend sein muss um zu gefallen.

LG Hans

Lieber Thomas, ich denke ähnlich wie Schiller. Solange starke Emotionen einen nicht in eine Schockstarre katapultieren, ist man noch handlungsfähig und kann agieren. Im Schock ist man genauso, wie in einer schweren Depression nicht fähig zu handeln. Das liegt am eingeschränkten Denken. Wer Grenzerfahrungen durch Drogen erlangen will, dem ist nicht klar (was auf ihn zukommen kann). Es wird ihm auch in keiner Weise helfen, weil solche nüchtern denkende (unsensible) Menschen, meistens mit den Erfahrungen gar nichts anfangen können. (außer nach LSD aus dem Fenster zu springen) Schaut man einmal in die Geschichte so sind doch die meisten kreativ Schaffenden, sehr sensible Menschen, oft, aber nicht immer mit einer psychischen Labilität belastet. Sensible Menschen müssen aber nicht unbedingt Depressionen bekommen um Grenzerfahrungen zu machen, sie neigen nur mehr dazu daran zu erkranken. Das kommt durch ihr intensives Empfinden, durch ein gesteigertes Wahrnehmungsgefühl für alle Reize. Solche Menschen brauchen keine Drogen und keinen Alkohol. Sie haben meistens schon genügend Phantasie um sich so eine Reise zu ersparen. Wo nüchterne Menschen die Drogen nehmen, nur Gespensterschatten sehen, könnten empfindsame Menschen bei Drogenkonsum, am Schock sterben. Das könnte ich mir jedenfalls vorstellen. Ich kann nur vernünftig schreiben, wenn ich klar genug denken kann.
LG Heike