Verbrechen Liebe

geküsst, geliebt, gelacht
Worte gesprochen
sehr leise nur, "Kocham Cie"
zu einem deutschen Mädchen
am Sonntag im Buchenwäldchen

schwarze Uniformen
holten beide über Nacht
aus ihr/em Traum
von Liebe und Zweisamkeit
am Sonntag im Buchenwäldchen

das deutsche Mädchen
büßte ihr Verbrechen
diesen Mund
berührt zu haben
viele Sonntage in Buchenwald

der Zwangsarbeiter Josef B.
so steht es in Landau
im Sterberegister der Kirche
erhängt am 06.08.1941
am Sonntag im Buchenwäldchen

Liebe Ostseemöwe,

es ist immer wieder erschütternd, über Einzelschicksale zu lesen, sie machen den Völkermord noch deutlicher und schrecklicher.
Über dein Gedicht kann ich nur wenig sagen, weil ich mich mit freier Lyrik kaum beschäftige und daher so gut wie keine Ahnung habe. Für mich klingt die Sprache passend zum Thema hart und zugleich hilflos und weich; die Verse kommen knapp und schnörkellos.
Die kleine Änderung vom anheimelnden Buchenwäldchen zum Lager Buchenwald und zurück zum die Untat verbergenden Buchenwäldchen ist eine sehr gute Idee.
Schau mal hier: Der Prediger von Buchenwald

Herzliche Grüße,
Medusa.

hallo Medusa

Es ist ein Stück grausamer deutscher Geschichte. Ich bin nur darauf gestoßen, weil ich ein wenig Ahnenforschung betrieben habe. Das Buch "Verbrechen Liebe" von Thomas Muggenthaler untersucht in seinem Buch "Verbrechen Liebe"
ein immer noch tabuisiertes Thema der nationalsozialistischen Verbrechenszeit in Bayern. Er schildert hier nur konkrete Einzelfälle des Polenerlasses in Niederbayern. Nach dem Überfall in Polen wurden mehr als 300.000 polnische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter in die Landwirtschaft auf deutschem Reichsgebiet eingesetzt.
Mit dem Polenerlassen vom 8.3.1940 wollte die Regimeführung die Polen separieren. Zu den Erlassen gehörte eine Kennzeichnungspflicht, das Polenabzeichen.
Die Zwangsarbeiter mussten den Polenerlass unterschreiben, in dem stand, das jeder intime Kontakt zu deutschen Frauen mit dem Tode bestraft wird.
Ich bin überzeugt, das dieser Erlass in ganz Deutschland (nicht nur in Bayern) vielen Polen das Leben kostete. Und auch die deutschen Frauen und Mädchen wurden für ihre Liebe auf grausame Art bestraft. Teilweise wurden ihnen sogar die Kinder weggenommen. Einige haben erst durch die Recherchen erfahren wer ihre wirklichen Eltern waren.
Ich habe lange gebraucht um einen ganz persönlichen Text dazu zu schreiben. Dieser Josef Berdzinski war mein Ur-Onkel.
Danke für Deinen Kommentar und den Hinweis auf Thomas sein Werk.

herzlich Ilona

Lieber Thomas
vielen Dank für Dein ausführliches Befassen mit meinem Gedicht.

Zitat

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der Text muss auch dann noch als Lyrik wirken, wenn man ihn nur hört.

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da stimme ich Dir zu, muss aber einwenden, jedes Ohr hat andere Hörgewohnheiten. Was dem einen als Melodie erscheint ist dem anderen Unton. Dein Satz kann also nicht als Definition heran gezogen werden, er ist somit ein Werturteil und daher anders als bei Tatsachen dem Beweis nicht zugänglich.

Zitat

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Meine These ist diese. Lyrik verwendet die gleichen sprachlichen Mittel wie Prosa. Im Unterschied zur Prosa verwendet sie diese nur in größerer Regelmäßigkeit. Hinzu kommt eine sich von Prosa unterscheidende Prosodie, welche ich versuche mit dem Begriff "Singbarkeit" zu erfassen, was nicht bedeutet, dass der Text eine Melodie (wie ein Lied) hat. Dadurch erziehlt Lyrik eine objektive Wirkung (ich nenne es "Orpheus-Prinzip" ), die über das hinausgeht, was Prosa erreichen kann.

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Deine These möchte ich so stehen lassen. Zu viele haben sich bereits zur Theorie der Lyrik geäußert. Keiner konnte sie ganz erfassen. Wenn wir freie Lyrik in Gänze definieren wollten müssten wir auch die einzelnen Unterarten der Malerei und der Musik und anderer Künste erfassen können. Ich bin der Meinung es würde den Künsten nur einen Schaden zufügen. Es würde dem Künstler die Freiheit nehmen sich neu auszuprobieren. Weder "Schön" noch "Hässlich" können definiert werden, es liegt immer im Auge des Betrachters.

Zitat

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Dein Gedicht ist Lyrik, wenn man es sich vor dem inneren Ohr anhört. Das wird ganz wesentlich durch die Refrain-Zeile bewirkt – eine Regelmäßigkeit. Doch nicht nur das, auf diesem Refrain aufbauend, hört man einen Rhythmus, den Medusa als "hart und zugleich" bezeichnet hat, der meiner Meinung nach im Wesentlichen dadurch entsteht, dass ein fast jambisches Metrum (an den passenden Stellen!) gebrochen wird. Das ist alles sehr schön. Das ist nicht alles, aber mehr kann ich nicht sicher sagen.

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In meinem speziellen Fall habe ich ein Stilmittel bewusst eingesetzt. Es ist ein einziges Wort. "Buchenwald" es löst in den meisten Menschen eine Erinnerung aus. Sie verbinden damit in unserem Kulturkreis, KZ, Verbrechen, Gestapo ... . Dieses geschieht aber nur in unserem Kulturkreis. In Afrika, Asien und sonstwo würde es nicht diesen Erinnerungseffekt haben.

Zitat

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Ich habe noch zwei Fragen:
Warum benutzt du nicht die an sich zum Verstehen hilfreichen Satzzeichen und warum schreibst du "ihr/em"?
Da du "liebe mich" in Anführungszeichen setzt, frage ich mich, warum du diese nicht in der letzten Strophe verwendest, also:

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Nun zu Deinen konkreten Fragen.

Zitat

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Warum benutzt du nicht die an sich zum Verstehen hilfreichen Satzzeichen

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Punkt und Kommata verwende ich in meiner Lyrik dann, wenn ich dem Leser andeuten, manchmal auch zwingen will zu stoppen. Innezuhalten. In diesem Fall ist die Zeile eine Begrenzung, ein Rahmen des Bildes.

Zitat

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warum schreibst du "ihr/em"?

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Du meinst diese Stelle:

Zitat

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holten beide über Nacht
aus ihr/em Traum

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sehr gut! Der Leser sollte sich genau diese Frage stellen und wenn nicht heute dann beim 4. oder 5. lesen beantworten können.
Ich kann diese Zeile auf verschiedene Art lesen.
holten beide über Nacht, aus ihr Traum oder holten beide über Nacht, aus ihrem Traum
ich überlasse dem Leser beides für sich zu erschließen.

Zitat

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Da du "liebe mich" in Anführungszeichen setzt, frage ich mich, warum du diese nicht in der letzten Strophe verwendest, also:

"Zwangsarbeiter Josef B."
so steht es in Landau
im Sterberegister der Kirche
"erhängt am 06.08.1941
am Sonntag im Buchenwäldchen"

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Zitat

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Worte gesprochen
sehr leise nur, "Kocham Cie"

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nun hier steht Kocham Cie als direkte Rede. Kocham Cie, übersetzt aus dem polnischen heißt es, "ich liebe dich" das sagen sie sich.
In der letzten Strophe ist keine direkte Rede vorhanden, auch kein duektes Zitat. Dort gehören also keine Anführungszeichen hin.

Ich hoffe ich habe Dir alle Fragen beantwortet. Ansonsten gibt es ja noch den allgemeinen Faden über freie Lyrik. Ich werde mich da gerne in die Diskussion einbringen.
Lieben Gruß
Ilona

lieber Thomas
nun bin ich es die erst spät antwortet. Aber mein Internet läuft immer noch nicht rund. Hoffe ich kriege das bald mal hin.
Danke für Deine lobenden Worte.
Zu Deinem Thema der Definition von freier Lyrik, wir werden weiterhin schauen ob wir doch einen gemeinsamen Nenner finden und einen geeigneten Rahmen.
Es wäre ja schön.
herzlich zu Dir Ilona

Liebe Ostseemöve,

Solch ein Stück der eigenen Vergangenheit zu verarbeiten scheint mir eine ganze Lebensaufgabe zu sein. Danke dass du diesen Schritt davon teilst.

Das aus dem Buchenwäldchen nach dem Mord im Volksmund das Polenhölzel wurde ist vielleicht auch ein Schutzmechanismus gegen das kollektive Vergessen.

Die Strophe in der du sagst dass sie an vielen Sonntagen zum Wald zurückkehrte und trauerte (jedenfalls würde ich das so interpretieren) ist so grausam. Vor allem wenn man bedenkt wie die Liebe durch die Schwangerschaft vermutlich in den Fokus der Öffentlichkeit rückte … da hängt so viel dran das ist so bitter.

Dieses Gedicht macht mich traurig und festigt meinen verzweifelten Versuch mir selbst Zivilcourage zu bewahren - hoffentlich werde ich es schaffen.

Danke und liebe Grüße

Derolli

Lieber Derolli
Das Gedicht ist nun schon einige Jahre alt und doch verliert es für mich nicht an Bedeutung. Danke dass du es genauso siehst.
Liebe Grüße aus Kiel
Ilona