Mag der Grieche seinen Ton Zu Gestalten drücken, An der eignen Hände Sohn Steigern sein Entzücken;
Aber uns ist wonnereich. In den Euphrat greifen Und im flüss'gen Element Hin und wider schweifen.
Löscht ich so der Seele Brand, Lied, es wird erschallen; Schöpft des Dichters reine Hand, Wasser wird sich ballen.
Johann Wolfgang Goethe
Die Vagantenstrophe ist eine sehr alte und in der deutschen Dichtung sehr häufig gebrauchte Form, welche auch heute noch quicklebendig ist. Sie ist ein Vierzeiler und besteht ihrer reinen Form aus trochäischen Zeilen, wobei die erste und dritte Zeile vierhebig ist mit männlicher Kadenz, und die zweite und vierte Zeile dreihebig mit weiblicher Kadenz. Die vier Zeilen stehen im Kreuzreim.
Die Form ist jedoch recht flexibel und erlaubt auch einen Auftakt, wodurch im Grunde eine jambische Vagantenstrophen-Variante entsteht.
Das Kind am Brunnen
Frau Amme, Frau Amme, das Kind ist erwacht! Doch die liegt ruhig im Schlafe. Die Vöglein zwitschern, die Sonne lacht, Am Hügel weiden die Schafe.
Frau Amme, Frau Amme, das Kind steht auf, Es wagt sich weiter und weiter! Hinab zum Brunnen nimmt es den Lauf, Da stehen Blumen und Kräuter.
Frau Amme, Frau Amme, der Brunnen ist tief! Sie schläft, als läge sie drinnen! Das Kind läuft schnell, wie es nie noch lief, Die Blumen locken's von hinnen...
Friedrich Hebbel
Wie geht das geht wohl aus? Das ganze Gedicht, welches mir beim Vortragen schon viel Freude macht hat, ist im Internet leicht zu finden.
Bisweilen werden auch zwei Vagantenstrophen zusammengefasst und ergeben eine achtzeilige Strophe, z.B. das folgende Gedicht von Christian Morgenstern.
Der Droschkengaul
Ich bin zwar nur ein Droschkengaul, – doch philosophisch regsam; der Freß-Sack hängt mir kaum ums Maul, so werd ich überlegsam. Ich schwenk ihn her, ich schwenk ihn hin, und bei dem trauten Schwenken geht mir so manches durch den Sinn, woran nur Weise denken.
Ich bin zwar nur ein Droschkengaul, – doch sann ich oft voll Sorgen, wie ich den Hafer brächt ins Maul, der tief im Grund verborgen. Ich schwenkte hoch, ich schwenkte tief, bis mir die Ohren klangen. Was dort in Nacht verschleiert schlief, ich könnt es nicht erlangen.
Ich bin zwar nur ein Droschkengaul, – doch mag ich Trost nicht missen und sage mir: So steht es faul mit allem Erdenwissen; es frißt im Weisheitsfuttersack wohl jeglich Maul ein Weilchen, doch nie erreichts – o Schabernack – die letzten Bodenteilchen.
Der Charakter der Vagantenstrophe ist so stark durch den Wechsel von vierhebigen und dreihebigen Verszeilen und dem Wechsel von männlicher zu weiblicher Kadenz geprägt, dass auch eingestreute unregelmäßige Füllungen dieser Form nicht schaden, ja sie sogar bereichern, wenn ein Meister wie Heinrich Heine diese Form handhabt.
Die Welt ist dumm, die Welt ist blind, Wird täglich abgeschmackter! Sie spricht von dir, mein schönes Kind: Du hast keinen guten Charakter.
Die Welt ist dumm, die Welt ist blind, Und dich wird sie immer verkennen; Sie weiß nicht, wie süß deine Küsse sind, Und wie sie beseligend brennen.
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