Ich wandere nach Afrika, es liegt ja ziemlich in der Näh, in dreizehn Wochen bin ich da, wenn ich nur etwas zügig geh.
Es liegt ja ziemlich in der Näh, ich kenne die Geographie. Wenn ich nur etwas zügig geh, verspüre ich mein rechtes Knie.
Ich kenne die Geographie, den Körper kenn ich ebenso. Verspüre ich mein rechtes Knie, erreich ich bei Turin den Po.
Den Körper kenn ich ebenso. Im Herzen find ich keine Ruh. Erreich ich bei Turin den Po, dann treffe ich auch bald ein Gnu.
Im Herzen find ich keine Ruh, in dreizehn Wochen bin ich da. Dann treffe ich auch bald ein Gnu. Ich wandere nach Afrika.
Der Ursprung des Pantuns ist der malaiische Sprachraum, wo es Bestandteil gesellschaftlicher Bräuche war, und teilweise bis heute noch ist, zum Beispiel als Wechselgesang zwischen Gruppen von jungen Männern und Frauen am Festtag des "Seewürmerfangens" (Bau Nyale). Die Form des Pantuns mit seinen vielen Refrains ist daher vom Wechselgesang geprägt. Man kann sich das so vorstellen: Die eine Gruppe singt die erste, immer vierzeilige Strophe des Pantuns, und dann greift die zweite Gruppe die zweite und vierte Zeile auf, welche in der Antwort der zweiten Strophe die erste und dritte Zeile bilden, und durch neue zweite du vierte Zeilen ersetzt werden. Diese neuen Zeilen greift nun die erste Gruppe wieder als Refrain auf und bildet zwei weiter Zeilen, usw.
Es entsteht auf dies Weise die folgende Form des Pantuns:
Strophe 1 Zeile 1 Reim A Strophe 1 Zeile 2 Reim B Strophe 1 Zeile 3 Reim A Strophe 1 Zeile 4 Reim B
Strophe 1 Zeile 2 Reim B Strophe 2 Zeile 2 Reim C Strophe 1 Zeile 4 Reim B Strophe 2 Zeile 4 Reim C
Strophe 2 Zeile 2 Reim C Strophe 3 Zeile 2 Reim D Strophe 2 Zeile 4 Reim C Strophe 3 Zeile 4 Reim D
usw.
Für die Schlussstrophe wird folgende Form gewählt:
Vorletzte Strophe Zeile 2 Reim X Strophe 1 Zeile 3 Reim A Vorletzte Strophe Zeile 4 Reim X Strophe 1 Zeile 1 Reim A
Das Pantun kann beliebig viele Strophen haben, mindestens jedoch vier Strophen, und auch das Metrum ist beliebig, jedoch in allen Strophen gleichbleibend.
Wegen der vielen wörtlich wiederholten Refrainzeilen, die bei der Wiederholung nur geringfügig verändert werden dürfen, eignet sich das Pantun für spielerische Gedichte, wie z.B. in dem einleitenden Beispiel von mir, wo die Reimworte der jeweils neuen Zeilen 2 und 4 durch die Vokalreihe AEIOU laufen. Aber auch Themen, die eine gewisse Besessenheit zum Ausdruck bringen bieten sich wegen der Wiederholungen an.
Wiederfinden
Mein Strumpf, mein Strumpf, mein Strumpf ist weg, ich suche hier, ich suche dort; er war am rechten Ort und Fleck, nun ist er wohl für immer fort.
Ich suche hier, ich suche dort, ich suche schon seit sieben Stunden – nun ist er wohl für immer fort – ich hab ihn nirgendwo gefunden.
ich suche schon seit sieben Stunden, die Suche hat wohl keinen Zweck. Ich hab ihn nirgendwo gefunden. Und auch mein rechter Schuh ist weg.
Die Suche hat wohl keinen Zweck. Wer hat mir das bloß angetan? Und auch mein rechter Schuh ist weg. Herrje! Ich habe ihn schon an!
Wer hat mir das bloß angetan? Er war schon längst am rechten Fleck! Ich habe meinen Stumpf schon an! Mein Strumpf, mein Strumpf, ist doch nicht weg.
Die Form verleitet zu einer gewissen Statik und macht es schwierig dynamische Veränderungen auszudrücken, weil ja die erste und letzte Zeile identisch sind. Gelingt es, eine mehrdeutige Zeile zu finden, kann die weiderholte letzte Zeile in einem neuen Licht erscheinen, und auf diese Weise das statische Moment der Form ausgehebelt werden.
Im Jahr 2020 wurde das Pantun übrigens in die UNESCO-Liste des dringend erhaltungsbedürftigen Immateriellen Kulturerbes aufgenommen – vielleicht auch ein Grund, ab und zu ein Pantun zu schreiben.
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