Blutregen über Samothrake
(1. September 1821)

Am Kieselstrand, wo das Meer sich bricht,
unweit Alonia am Strande,
landen vier Schiffe der Schande.
Sie bringen Verderben mit der Gischt:
Strafbataillon oder Standgericht?
"Ihr wollt euch vom Türken befreien?
Das sollt ihr noch bitter bereuen!"

Von Bord dieser Segler ergießt sich ein Tross
wilder Gestalten der Rache,
schreiend mit schrecklicher Lache,
zu Fuß sind die meisten, auch manche zu Ross,
am seidenen Turban erkennt man den Boss.
Man sieht sie bergaufwärts nun streben:
"Die schonen ganz sicher kein Leben!"

"Wir sind", sagt ein Hirte, "zum Sterben bereit,
doch niemals, ohne zu kämpfen!
Solch Blutwut kann kein Mensch mehr dämpfen!
Noch wenige Stunden haben wir Zeit,
gedenket der Einheit und Brüderlichkeit,
kommt, lasst uns die Türken verhauen,
ein einiges Griechenland bauen!"

Es sammeln sich Hirten vor Chora, und dort,
am Hohlweg, bauen sie Schanzen
und werfen mit Steinen und Lanzen,
umzingeln die Feinde am Ortsrand sofort,
doch Pulver und Flinten fehlen vor Ort,
die Waffen müssen sie strecken,
osmanische Stiefel bald lecken!

Und wieder siegt der Osmanen Wahn!
Ohnmacht auf Seiten der Griechen:
Blutige Leiber, die kriechen,
die Köpfe Trophäen, der rote Hahn
auf Dächern von Hütten bricht sich Bahn,
um Weiber werden sie raufen,
die Kinder auf Märkten verkaufen!

Am Kieselstrand, wo das Meer sich bricht,
unweit Alonia am Strande,
Setzen sie Segel der Schande!
Sie stechen in See, in die rote Gischt,
das Massaker schreit nach dem Endgericht!
Vom Himmel fällt blutiger Regen,
für Türken und Griechen kein Segen!


Nachdem im März 1821 eine Abordnung der Insel Samothraki beim Aufstand der Griechen gegen die Türken auf dem Peloponnes teilgenommen hatte, landete ein osmanisches Vergeltungsbataillon auf der Insel und beging am 1. September ein Massaker an der Inselbevölkerung, bei dem fast die gesamten Einwohnerschaft hingemetzelt oder in die Sklaverei verkauft wurde.
Bis heute ist das gegenseitige Verhältnis von Griechen und Türken durch derartige, tief im kollektiven Bewusstsein verankerte Greueltaten gestört!

lieber Karlheinz
ich liebe in Lyrik verarbeitete Geschichte.
Wenn ich es richtig heraus gelesen habe ist dieses Massaker fast vor Deiner Haustür passiert.
Toll das Du darüber berichtest. Ich habe mich immer gefragt, warum dieser stets zu spürende Hass im Volk so verankert ist.
Es werden sicher solche Massaker an vielen Orten Griechenlands passiert sein.
Dein Gedicht ist für mich rund und ich kann nichts finden was ich verbessern oder anders formulieren würde.
herzlich Ilona

Liebe Ilona,

vielen Dank für Dein schönes Lob, das mich sehr erfreut!

Ja, diese traurige Geschichte hat sich tatsächlich genau vor unserer Haustür ereignet. Von unserem Balkon aus kann ich sowohl den Hohlweg als auch die tiefer gelegene Stelle des Massakers einsehen!

Bis auf ganz wenige Menschen, die sich noch rechtzeitig ins Hochgebirge retten konnten, hat es alle erwischt. Die Insel war über mehrere Jahrzehnte fast menschenleer und erreichte erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts
wieder den ursprünglichen Bevölkerungsstand.

Grausamkeiten dieser Art waren auf dem Gebiet des heutigen Griechenland in der Tat keine Seltenheit und wurden keineswegs nur von den Fremdherrschern begangen!

Liebe Grüße und herzlichen Dank aus Samothraki
Karlheinz

Lieber Karlheinz,
es scheint, als hättest du nur auf eine solche Aufgabe gewartet um diese Geschichte angemessen erzählen zu können. Die Form ist dir gut gelungen, die vielen Strophen wirken aus einem Guss. Es ließt sich, als wäre nichts natürlicher, als es genau so zu erzählen, obwohl die Form ja durchaus immer wieder der Beachtung bedurfte.
Ich finde, Thomas hat uns da eine tolle Aufgabe gestellt, die du mit Bravour gelöst hast.
Sehr schön!
Herzliche Grüße!
der Sanderling

Lieber Sanderling,

Du hast recht, es war wirklich so, als ob das Gedicht in mir schon lange auf Lager gelegen hätte. Vielleicht liegt das an meinem starken inneren Bezug zum Ort und zu den Menschen hier, mit denen ich täglich, wohl oder übel, zu tun habe. Wenn mir etwas so gut und leicht gelingt, wie das hier, gibt mir das ein Stück Glücksgefühl.

Vielen Dank für Dein Lob und Deine Anerkennung!

Liebe Grüße vom Platz unterm Nussbaum in friedlichster Atmosphäre
Karlheinz

Lieber Carlino,
den grausamen Überfall der Osmanen auf Deine Insel hast Du mit grausamer Deutlichkeit beschrieben.
Am Anfang des letzten Jahrhunderts muss auch irgenwas passiert sein, denn ich war mal auf Lesbos und habe ein tiefes Misstrauen dort gespürt.
Du hast Dir die Bürgschaft wirklich intensiv zum Vorbild genommen, sogar in der Art wie Du Dich ausdrückst. Sie scheint deutlich durch und das Gedicht wirkt dadurch noch dramatischer. Leider bleibt so ein Trauma viele Generationen lang lebendig und bringt oftmals neues Leid.
Möge der Nussbaum weiter tiefen Frieden aussenden.
Liebe Grüße, Heidi

Liebe Heidi,

in der Tat gärt es zwischen den beiden Völkern bis heute. Kleinere Spannungen gibt es fast jeden Tag, weil die Türkei in der Nachfolge des Osmanischen Reiches einige damals ausgehandelte Verträge nicht einhalten will. Es geht vor allem um die griechischen Inseln in Sichtweite Kleinasiens und um vermutete Ölvorkommen, die beide Länder beanspruchen.
Leider besinnt man sich nicht auf die vielen Gemeinsamkeiten sondern lieber auf die Unterschiede, besonders der Religion.

Vielen Dank für Deine Gedanken, Dein Lob und Deine Wünsche
Grüße aus Samothraki
Karlheinz

Lieber Karlheinz,
schön dass es dir beim Schreiben wirklich so ging wie ich es empfunden habe. Mit diesem Glücksgefühl jetzt unter dem Nussbaum zu sitzen, ist sicher ein großartiges Gefühl.
Herzliche Grüße
der Sanderling

Lieber Sanderling,

wie alles im Leben hat unser Nussbaum, der uns jedes Jahr Schatten und köstliche Walnüsse spendet, auch einen Nachteil: Ameisen lieben ihn ebenfalls und lassen sich öfter mal fallen.

Lieber Thomas,

Ata Türk wurde tatsächlich in Thessaloniki geboren, das damals noch von vielen Volksgruppen bewohnt wurde. Die stärkste Gruppe waren damals übrigens sefardische Juden, die als Vertriebene aus Spanien im Osmanischen Reich Zuflucht gefunden hatten. Diese wurden von den Deutschen während der Besatzungszeit fast vollständig ausgelöscht. Der aufkeimende Nationalismus hat überall schlimmste Resultate gezeitigt und dieser Prozess ist immer noch nicht abgeschlossen, wie man an Erdogans verbrecherischer Politik ablesen kann.

Vielen Dank Euch beiden und Grüße aus Samothraki, dessen jetzt türkische Nachbarinsel Imbros, obschon zum Greifen nahe, von hier aus unerreichbar ist...
Karlheinz

Lieber Karlheinz, was für eine schreckliche Tat. Und wieder traf es die, die sich am wenigsten wehren konnten. Vergeltungsschläge sind gefürchtet. Sie sind ein sadistisches Bestrafungsmittel. Eine Schande für jeden der sie begeht. Du hast die Geschichte sehr eindrücklich geschildert. Die Bilder sind grauenhaft die Worte geballt, aber am stärksten empfinde ich die letzten drei Zeilen, weil sie schon vorausahnen lassen, was dieses Massaker für einen Einfluss auf die Zukunft hat.

Bis auf S3/Z3kann ich den Text flüssig lesen. Dort stolpere ich über eine Silbe die zu viel ist.
Auch heute gibt es so etwas noch auf der Welt, das ist erschreckend.

LG auf die Insel Heike

Liebe Heike,

egal, wo so etwas geschieht, prägt sich das über Generationen hin ein und führt zu weiteren Aggressionen!

Mit der Silbe hast du natürlich recht und es war mit bewusst, stört mich aber komischerweise an dieser Stelle überhaupt nicht, da ich hinter solch und vor dem schnell ausgesprochenen Blutwut eine kleine Pause mache.

Wenn du drauf bestehst, kann man solch auch weglassen, dann stimmt´s!

Liebe Grüße aus Chora Samothrakis
Karlheinz

Lieber Karlheinz, dein Gedicht, deine Entscheidung. Ich bestehe auf nichts.

LG Heike

Liebe Heike,

schade, ich hatte gehofft! Aber Spaß beiseite, ich danke Dir für Deine Aufmerksamkeit!!!

Liebe Grüße aus heute sehr warmen Gefilden
Karlheinz