Ich gehe und ich weiß noch nicht wohin. Was mir einst Heimat war, ist fremd und kalt, ein Raum, in dem sogar der Schrei verhallt, mit dem ich in die Welt gekommen bin.
Vom Weg blieb nur der Staub an meinen Schuhen, und meiner Zukunft fehlt die Gegenwart, mein Lebenstrieb ist nicht mehr winterhart, ich bin zu müde, mich hier auszuruhen,
und hoffe, dass mir eine feste Hand behilflich ist, wenn ich das Schiff besteige und meinen Becher leere bis zur Neige.
Ich ziehe in das unbekannte Land, ganz ohne Rückfahrkarte und Gepäck und bin für euch dann einfach einmal weg.
dein Sonett ist von so tiefem Inhalt, dass ich es am Morgen erst einmal unkommentiert lassen musste. Doch es ist auch sehr gut, so dass es schade wäre es bliebe ohne lesbare Resonanz für dich. Vers eins klingt wie eine öffentliche Verkündigung. Eine fundamentale Aussage, die mich kurz erschrecken lässt. Muss mir erst einmal bewusst machen, dass DU so etwas schreiben kannst aus einem Impuls, der nicht aus dem aktuellen Leben stammen muss. Aber natürlich könnte. Die Fortführung der nächsten drei Verszeilen ist außergewöhnlich, schaffst du es hiermit doch einen großen Bogen zu schlagen, vom Geburtsschrei bis zur Verzweiflung des Heimatverlustes. Nachfolgende Sätze wie: ... "meiner Zukunft fehlt die Gegenwart", bis zum untauglich gewordenen Lebenstrieb, der nicht mehr winterhart ist, setzen die Verse gekonnt fort. Das Spiel mit Paradoxem, ..zu müde zu sein um sich auszuruhen, führt herüber, in die Bitte um Hilfe beim Übergang in andere Gefilde, wenn der Becher leer ist.
Der letzte Dreizeiler dieses Sonetts beginnt genau so klar und scheinbar feststehend wie die ersten Zeilen deines Gedichtes. Und der lapidare Abschiedsgruß vermag deinen Zeilen ihre Härte für den Leser leider nicht mehr zu nehmen.
Insgesamt bin ich schwer beeindruckt von deinem Sonett.
Liebe Grüße der Sanderling
PS. Bestell dem LI einen Gruß, es möge bitte noch etwas bleiben
vielen Dank dafür, dass du deine Gedanken zu dem Sonett so ausführlich und verständnisvoll dargelegt hast. Da ich Friedrich Schillers Rat ernst nehme, der Dichter solle nie im Schmerz über den Schmerz schreiben, kannst du davon ausgehen, dass es mir gut geht, wenn ich so etwas schreibe. Ich versuche einfach etwas darzustellen, was ich für rein menschlich halte. Irgendwann wandern wir ja alle aus, und von der Familie meines Vaters, bei der es mehrere Auswanderer nach USA gab, weiß ich, dass nicht Abenteuerlust, sondern Verzweiflung der Anlass war. Dass das Ding ein Sonett wurde, hat mich selbst überrascht, denn ich hatte das gar nicht vor. Aber als es zu drei Viertel fertig war, merkte ich, dass es fast ein Sonett war und habe es "zurechtgefeilt". Für derartige gefühlsbeladene Gedanken scheint sich diese Form anzubieten.
vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Durch deine Erklärung wird mir ansatzweise ein Gefühl vorstellbar, was die zahlreichen Menschen wahrscheinlich begleiten wird, die aktuell heimatlos in ihrer Heimat sind, flüchtend ohne Ziel und vollkommen haltlos. Danke!
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