Kürzlich fragte mich jemand, was ich von Benns Gedichten halte. Ich sagte: "In meiner Jugend hätte ich ein paar gelesen, die offensichtlich keinen großen Eindruck auf mich gemacht hätten, und dann las ich in einem Buch seine Rede 'Der neue Staat und die Intellektuellen' von 1933, da war Benn für mich gestorben."
Da ich das vor so vielen Jahren gelesen hatte, dachte ich, vielleicht sehe ich das heute mit anderen Augen, nicht so kompromisslos, wie als junger Mensch. Also besorgte ich mir den Text und las. Und was ich las, erneut las, ließ mir das Blut in den Adern stocken.
Benn beginnt die Rede "Der neue Staat und die Intellektuellen" mit den Worten: "Ich las kürzlich in einer Zeitung, im Besucherzimmer eines der neuen preußischen Ministerien sei ein Schild folgenden Inhalts angeschlagen: 'Man kommt nicht in eigener Sache dorthin, wo eine neuer Staat aufgebaut wird.' Ausgezeichnet!" Aber das ist nur der Anfang, keine persönlichen Anliegen soll es mehr gegeben, keine Pressefreiheit und keine Gedankenfreiheit fordert Benn. "Lässt sich da überhaupt ein Argument gegen einen Staat finden, der erklärt, die öffentliche Meinungsäußerung nur denen zu gestatten, die auch die öffentliche Staatsverantwortung tragen?"
Es kommt noch schlimmer. In dem ebenfalls 1933 erschienen Aufsatz "Züchtung" schreibt Benn: "Also gibt es nur eins: Gehirne muss man züchten, Gehirne mit Eckzähnen, Gebiss aus Donnerkeil. Verbrecherisch, wer den neuen Menschen träumerisch sieht, ihn in die Zukunft schwärmt, statt ihn zu hämmern; kämpfen muss er können… Frieden in Europa wird es nicht mehr geben, die Angriffe gegen Deutschland werden erst beginnen: vom Westen, vom Osten, vom Liberalismus, von der Demokratie…" (Hervorhebungen im Original).
Ich kann das nicht als zeitweise "Verirrungen" abtun, wie es manche taten. Das ist alles so klar, so charakterschwer, so grässlich; irre, aber nicht als Verirrung möglich, dass ich die Gedichte von ihm auch heute noch nicht lesen kann, mögen sie auch noch so kunstvoll und in hervorragendem Stil geschrieben sein.
In meinem Sammelsurium von Büchern steht auch ein Gedichtband von Gottfried Benn. Seit -zig Jahren. Nach den ersten 10 Seiten habe ich das Ding damals in die Ecke gepfeffert und seither noch ein paar wenige Versuche gestartet das Teil zu lesen, aber mein Wille verendet jedes Mal gleich wieder. Ich mag die Gedichte nicht!
Benns Gedichte sind glaube ich genauso in der Zeit seiner eigenen Entwicklung zu betrachten, wie in der allgemeinen gesellschaftlichen Stimmung. Er hat das Naziregime offensichtlich unterstützt (sogar den Schwur auf Hitler unterzeichnet), bis er gemerkt hat dass dieses Gleichschalten doch nicht die Lösung sein kann. Dann hat er wieder eine andere Richtung eingeschlagen. Er wurde auch nach dem 2. Weltkrieg mit Literaturpreisen bedacht, obgleich die Alliierten ihn als Naziunterstützer sahen und seine Werke teilweise verbannten. Benn hatte vor dem ersten Weltkrieg reißerische Gedichte, mit für damals revolutionären Inhalten, veröffentlicht. Der erste Weltkrieg nannte sicherlich an ihm, von der Weimarer Republik war er enttäuscht und das dritte Reich entpuppte sich als katastrophaler Fehlschlag. Benn hat so einiges er- und überlebt.
Ich weiß garnicht genau was mit seiner Beziehung zu einer Jüdin wurde, während dem NSRegime.
Ich lese ihn nicht, da ich ähnlich wie Thomas denke. In meiner Welt gibt es keine plausible und moralische Entschuldigung für die menschenverachtenden Taten zu denen Nazis und deren Unterstützer beigetragen haben. Wenn Benn auch selbst eine Wende hingelegt hat, so hat sein anfänglich schlechtes Vorbild den Verbrechern in die Hände gespielt und so jemanden möchte ich nicht in meinem Leben haben. Da er tot ist macht es wohl auch keinen Sinn seine Beweggründe verstehen zu wollen, da es lediglich bei einer Interpretation gemäß meinen eigenen Erfahrungen sein kann, die wirklich nicht mit denen Benns vergleichbar sind.
In der Bibel heißt es: ‚Bedrängnis, bewirkt das ein Kluger unvernünftig handelt‘ (Prediger7:7)
Allerdings handelt es sich bei Benns zeitweiser Sichtweise ja nicht um eine kurze Reaktion sondern um durchdachte Ideen, die einem wirren Geist entspringen.
Ich muss sagen, dass Benn für mich ein Beispiel dafür ist, dass mehr Informationen über ihn seinen meist eher gut Bewerteten Nachlass erheblich zerstören. Benns Wirken könnte mit Nachdruck in den Fokus der Allgemeinheit gerückt werden, bevor man ihm ein gutes Vermächtnis bescheinigt.
Danke euch beiden dafür, dass ihr mich dazu gebracht habt mich mit diesem zweischneidigen Schwert zu befassen.
danke, dass ihr euch meinen Text angetan und sogar geantwortet habt. Normalerweise schaue ich eigentlich immer nur auf das Werk, was ich hier auch getan habe. Aber manchmal geht es halt nicht mehr.
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