Etappenhengste

Lieber Sanderling,

der letzte Abschnitt des verlinkten Artikels sagt meiner Meinung nach treffend: Es "ist sicher auch ein soziologisches Phänomen, dass die Gender-Pause vor allem in jenen Milieus auftritt, die sich in Kleidung, Affektkontrolle und sittlichem Ernst ohnehin vom Durchschnitt abzuheben versuchen. Während das indifferente Sprachproletariat das geschriebene Wort immer weiter in die Formlosigkeit prügelt, besteht die distinktive Geste der jungen Kulturelite heute offenkundig darin, so schriftsprachlich, gedruckt und artifiziell zu sprechen, wie es ihre Eltern nie getan haben." Diese "Elite" kann das wegen mir tun, aber wenn diese "Elite" der Mehrheit (z.B. über Medien, Behörden und Universitäten) diese "artifizielle" Sprechweise aufzwingt, dann ist das undemokratisch, auch wenn es noch so moralisch verbrämt wird. Vor allem wird diese Sprachersatzhandlung in der Realität nichts bewirken. Glauben die Vertreter dieser "Elite" wirklich, dass die Chef:innensekträtr:innen dadurch, dass sie jetzt so genannt werden, gehaltlich mit den männlichen Kollegen völlig gleichgestellt werden? Es ist aber nur ein Beispiel für beliebte "Ersatzhandlungen", die moralisch beruhigen und im Grunde nichts bringen.

Liebe Grüße
Thomas

Lieber Sanderling,

ich will nicht polarisieren, nur ausdrücken, was ich empfinde. Das Gedicht bringt den Stress zum Ausdruck, den es mir macht, wenn ich einerseits moralisierende Pseudohandlungen sehe, die oft eher kontraproduktiv sind, weil sie den paralysierenden Eindruck vermitteln, man habe ja etwas gemacht, und ich andererseits sehe, welche Opfer Menschen für Freiheitsrechte in Kauf nehmen, für die ich sehnlichst hoffe, dass sie in dieser Welt der teilnahmelosen Anteilnahme erfolgreich sein werden. Das macht mir zunehmend Stress. Diese Stimmung ist es, die diesem kleinen Experiment zugrunde liegt.

Liebe Grüße
Thomas

Lieber Carlino,

vielen Dank für deinen Kommentar, er mir aus der Seele spricht. Es ist in der Tat der große Stress den es mir macht, der Lösung so vieler wichtiger Probleme so oft so ohnmächtig gegenüberzustehen, der mir diese moralisierenden Scheinhandlungen unerträglich macht. Ich halte mich deshalb nicht für besser. Und wenn jemand Scheinhandlungen braucht, um sich besser zu fühlen, ist das auch ok. Schlimm wird es, wenn der sich dann besser als andere fühlt. Mehr wollte ich nicht ausdrücken.

Liebe Grüße
Thomas