Mein Auge schweift über den fremden Himmel. Da schwebt der Mond herauf. O seht, es ist der gleiche, der in der Heimat, in Kasuga, die Berge beglänzt.
Abe Nakamaro (702-770)
Mondnacht. Jedesmal, wenn die Brandungswogen zurückweichen, erglänzt der feuchte Sand wie Silber.
Mutsuhito (1832-1912)
Wilhelm Bodmershof, der Ehemann von Imma Bodmerhof schrieb als Anhang zu ihrem Buch "Haiku" eine Studie, darin erwähnt er diese beiden Haikus und sagt: "Zwischen dem ersten und dem letzten (dieser Gedichte) liegen rund 1200 Jahre, dennoch klingen alle Haiku so frisch, als wären sie heute gesprochen… Der seelische Grundton formt auch durch Jahrtausende hindurch ihre Baugesetze."
Wie ich seine Studie verstehe, besteht seiner Meinung nach das erste Baugesetz darin, dass jedes Gedicht mit wenigen Worten eine Impression zeichnet, der eine Metapher zugrunde liegt.
Das zweite Bauelement des Haiku ist seiner Meinung nach die Bewegung, welche ihr Momentum durch eine im Gedicht herrschende Spannung zwischen zwei Polen erhält, was er als drittes Baugesetz des Haikus bezeichnet.
Nun schließt sich der folgenden mir wesentlich erscheinenden Satz an: "Von den europäischen ästhetischen Apperzeptionsformen steht wohl die Metapher dem japanischen Kurzgedicht am nächsten. Metapher nicht im Sinne des äußeren Redeschmuckes, sondern im Sinn eines versteckten, nicht zur vollen Aussage gelangenden Gleichnisses. Metapher also im Sinn eines Übergreifens aus dem irdischen in einen überirdischen Verstellungsbereich."
Ich habe dieses hier angeführt, weil mir es wichtiger erscheint das Gestaltungsprinzip des Haikus zu erkennen, als eine Vielzahl von Regeln aufzuzählen, welche im Deutschen meist fragwürdig sind, da sich die japanische Sprache sehr von der deutschen unterscheidet. Zum Beispiel wird als Form des Haikus immer wieder angeführt, dass es aus siebzehn Silben bestehe, die sich auf drei Zeilen so verteilen, dass in der ersten und letzten fünf Silben stehen und in der mittleren sieben. Da sich diese Formgebung im Japanischen auf Moren bezieht, welche mit unseren Silben kaum vergleichbar sind, halte ich dieses Formgesetz für relativ unwichtig.
Das wird von dem folgenden Beispiel unterstrichen:
"Welche Sprache sprichst du, o See?" "Die Sprache der ewigen Fragen." "In welcher Sprache gibst du Antwort o Himmel?" "In der Sprache ewigen Schweigens"
Rabindranath Tagore
Manche sagen vielleicht spontan: "Das ist doch gar kein Haiku". Aber Tagore bezeichnete es als solches. Als dieser Dichter mit dem Haiku bekannt wurde, war er begeistert von dieser Form und übertrug sie in seine Sprache, aber nicht die Form an sich, sondern das Formprinzip. Und wenn man sein Haiku genau liest, dann wird man die von Wilhelm Bodmershof entwickelten "Baugesetze" finden.
Haikus finde ich auch deshalb faszinierend, weil sie wie ein Samenkorn erscheinen, welches sich mit wenigen Worte ins Bewusstsein senkt, um die reiche Fülle der reifen Pflanze zu entfaltet, ähnlich einer japanischen Tuschmalerei, welche in einigen wenigen Linien dem inneren Auge ein zwischen Irdischem und Transzendetem schwebendes, perspektivisch vollständiges Gemälde zeigt.
(Quelle: Wikipedia)
Obwohl es schwer ist, die Form des Haukus konkret zu fassen, lässt sich mit Sicherheit sagen, dass diese kurzen Gedichte sprachliche "Perlen" sind, d.h. ihre Vokalmelodie und ihr Rhythmus sind harmonisch und sprachlich schön. Wie zum Beispiel das folgende, fast singbare Haiku von Imma Bodnershof.
Meine Spur lag groß im Schnee als ich zum Wald ging. Heimzu fand ich sie nicht mehr.
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