Durch letztes Gelb verhauchen klamme Winde.
Da ist er wieder, lichterwarm gefühlt,
der alte Traum, der in der Seele wühlt,
wie einst in der Geborgenheit dem Kinde.

Es tropft noch aus dem Mistelzweiggebinde
das Jungsein, märchenlos und abgekühlt,
von nackten Wirklichkeiten leergespült,
verborgen unter hartgelebter Rinde.

In Unschuld pochen Herzen unter Stahl,
doch geht die Wärme gnadenlos verloren,
die Tannen bleiben ungeschmückt und kahl.

Bewaffnet und in Selbstsucht eingefroren
schmeckt der geheuchelt warme Glühwein schal.
Vielleicht ward der Erlöser nie geboren.

Lieber Galapapa!

Bös, bös! Aber mal ordentlich gegengebürstet: Die (Schein-)Heiligkeit des weihnachtlichen Festes.
Gefällt mir ausgesprochen dein Sonett. Besonders stark: Die letzte Strophe. Da bleibt einem doch der Glühwein schal im Hals stecken. Auch formal gibt es m.W. nichts zu meckern.

Sehr gern gelesen und kommentiert.

Dir trotzdem eine beschauliche Adventszeit (wie auch immer, aber auf jeden Fall mit viel Katzenschnurren!).

Grüße von Sanssouci

Lieber Galapapa,
auch ich bin sehr angetan von Form und Inhalt. Die Dialektik kann ich jedoch nicht erkennen.
Eine Anmerkung zu Grammatik: geboren werden, ist passiv.
Gern gelesen
LG Ulrich

Hallo Sanssouci,
schön, mal wieder von Dir etwas zu lesen!
So bös war das eigenlich gar nicht gemeint, ich wollte nur beschreiben, wie ich jedes Jahr wieder den Widerspruch empfinde, wenn das aus der Kindheit gerettete, feierliche Gefühl der Wärme und Geborgenheit eines familiären Weihnachten so gar nicht mehr zu der erlebten Realität des Erwachsenendaseins passen will.
Es ist dies ein Widerspruch, den ich auch in der Botschaft der Kirchen und deren grausamer Wirklichkeit sehe.
Danke für Dein Lob und auch Dir eine beschauliche Adventszeit!
Grüße mir bitte auch Deine Frau! Meine drei Faulpelze senden dem Deinen auch einen schnurrigen Gruß!
Galapapa

Hallo Ulrich,
auch Dir herzlichen Dank fürs Lob!
Was die Grammatik angeht, so muss ich Dir insofeern Recht geben, dass es eigentlich heißen muss "geboren werden" und diese Form auch besser klingt.
Allerdings bin ich der Meinung, dass sich das Weglassen des Zusatzes "werden" allgemein durchgesetzt hat und somit wohl nicht falsch ist.
Ich konnte im Duden online dazu aber auch keine Antwort finden.
Letztlich habe ich mich für "ward geboren" entschieden.
Die Dialektik ist, wenn überhaupt, nur andeutungsweise vorhanden. Wenn man sie denn mit Gewalt finden will, dann könnte man so denken: These: Sobald der Herbst vergeht, verspürt das lyrische Ich schon wieder dieses feierliche, aus der Kindheit herübergerettete Weihnachtsgefühl.
Antithese: Dieses kindliche Weihnachtsgefühl hat in der Wirlichkeit des Erwachsenen keinen Platz mehr.
Synthese: Wenn man sich seine Herzenswärme bewahrt, Mitmenschen respektiert und achtet und seinen Tannenbaum mit Frieden schmückt, dann wird man auch dieses verlorene Glück aus der Kindheit wieder finden können.
Etwas erzwungen, sicher, aber es erfasst immer noch den tiefen Sinn des Textes, bei dem mir die Dialektik nicht im Vordergrund stand.
Herzliche Grüße!
Galapapa

Lieber Charly,
es soll Menschen geben, die sich die kindliche Freude bewahrt haben .

Ein sehr gut gelungenes Sonett mit einer starken Aussage.
Dass du die gleichen Reime in beiden Quartette benutzt, gefällt mir besonders gut; die wechselnden Kadenzen bringen ein gutes Tempo; Sprache und Melodie sind schön sonettig.

Der poetische Inhalt These (1. Quartett)/Antithese (2. Quartett)/Synthese (Terzette) bzw. These in den Quartetten/Antithese in den Terzetten könnte etwas deutlicher heraus gearbeitet sein; bei diesem Thema sicher nicht besonders schwierig, aber auch nicht zwingend.

Mich beeindruckt dein Sonett rundum.
Herzliche Grüße,
Medusa.

Lieber Galapapa,
hab Dank für Deine Erklärung! Manchmal bin ich etwas schwer im Begreifen.
LG Ulrich

Hallo Galapapa,
fast wär mir dieses schöne Werk entgangen, da ich Texte, die auf Weihnachten hinweisen, nur selten anklicke.
Da ich jedoch seit Jahren ein Fan Deiner Dichtkunst bin, war ich natürlich neugierig, wie Du dieses Thema anpackst.

Mittlerweile hab ich Deine Antworten zu den Kommis auch gelesen und kann alles, was Du sagst, nur unterstreichen.
Jedes Jahr, spätestens, wenn ich die erste Weihnachtsreklame sehe, denke ich fast wortgenau die 2.Zeile Deines Gedichtes, gefolgt von einem Seufzer und dem Wundern darüber, dass schon wieder ein Jahr vergangen ist.
Der rührselige Weihnachtsschmonzes, mit dem wir als Kinder beträufelt wurden, ist längst durchschaut, vom Alltag eingeholt, überholt und durch geradezu schamlose Vermarktung zur Farce geworden.
Der Sinn und Grund für Weihnachten, falls er jemals vorhanden war, hat sich lang schon geändert:
es geht ums Geschäftemachen, um ein paar freie Tage für die Berufstätigen, Schulferien für die Kinder.
Hab ich bei meiner Aufzählung was vergessen?
Ach ja... die Schenk- und Wünscherei beim Familienfest.
Traurig, wenn man einen Anlass braucht, um die, die man lieb hat und schätzt, mit einer kleinen Aufmerksamkeit zu überraschen, oder ihnen Gutes zu wünschen.

Falls der Erlöser je geboren wurde /gelebt hat.... DAS, was aus Weihnachten wurde, hatte er mit Sicherheit weder beabsichtigt, noch hätte er's gebilligt.

Neben der ausgezeichneten handwerklichen Qualität lobe ich die schonungslose Ehrlichkeit Deines Textes.
Sehr gerne gelesen und meine Gedanken hierzu dagelassen.

HG von Lailany

Hallo Galapapa,

hinsichtlich Weihnachten scheiden sich die Geister und hängen sich mehr oder weniger fest an eine der von dir verdichteten zwei Thesen. Ich persönlich glaube, dass es gar nicht so viele Erwachsene gibt, die nicht doch irgendwie vom Weihnachtszauber tief drinnen berührt werden. Das was wir als Kinder zu Weihnachten empfunden haben, mag verschüttet sein, aber ein Funke glimmt noch. Es muss nur der richtige „Brennstoff“ darauf fallen und schon lodert eine kleine Flamme auf und wärmt uns für kurze Zeit.

Mir gefallen deine Bilder wie „letztes Gelb“ und „es tropft noch …“. Herzen unter Stahl und die hartgelebte Rinde finde ich auch gut gewählt.

In der letzten Strophe stolpere ich ein wenig über den geheuchelten warmen Glühwein. Wie ist in dem Zusammenhang das Wort „geheuchelt“ zu verstehen und ist der Glühwein ganz bewusst nur „warm“?

Ein schönes Sonett hast du geschrieben, bravo.

Liebe Grüße
Sidgrani

Liebe Medusa,
danke für Dein Lob!
Ob man von diesen Gefühlen etwas herüberretten kann, hat auch etwas zu tun mit der Intensität dieser Gefühle und mit dem, was die Eltern seinerzeit aus Weihnachten gemacht haben.
Was meine Einstellung zu Sonetten angeht, so bin ich auf dem Stand, dass ich nur noch die Reimfolge abba in den Quartetten verwende, weil ich entdeckt habe, dass besonders darin der Zauber dieser Gedichtform liegen kann. Bevor ich jedoch nur unter einem gewissen Zwang die inhaltliche Folge These - Antithese - Synthese nur der Vorschrift wegen einhalte, nenne ich dann mein Gedicht lieber "sonettähnlich".
Du hast Recht, die Einhaltung wäre hier relativ leicht gewesen, ich hätte das mehr herausarbeiten können, doch habe ich darauf beim Schreiben, ehrlich gesagt, gar nicht geachtet. Die Aussage an sich war mir wichtiger.
Danke nochmal für Kommentar und Lob!
Herzliche Grüße!
Galapapa

Liebe Lailany,
auch Dir herzlichen Dank für Deinen lobenden Kommentar!
Ich kann Deiner Meinung zum kommerziellen Weihnachtstrubel nur beipflichten. Es gibt da ber nauch noch etwas Anderes, das dabei Gefahr läuft, von diesem Treiben verschüttet zu werden: Ein warmes Gefühl der Geborgenheit, eine besondere Feierlichkeit, die einen anrührt und deren Ausprägung natürlich sehr stark abhängig ist von dem, was damals die Eltern aus Weihnachten gemacht haben. Dabei musste dann das Beschenken und Beschenktwerden gar nicht den faden Beigeschmack der künstlichen und benutzten Gefühle haben und das Familiäre rückte da unter Umständen ganz in den Vordergrund.
Während meiner Kindheit waren die Weihnachtstage die einzigen im Jahr, an denen wir, Eltern und Kinder, alle gemeinsam gesungen haben und selbst der Vater sich zu einem Mitbrummen überreden ließ. Zusammen mit dem von den Eltern erzugten Zauber des geheimnisvollen Wartens und gemeinsamen Zelebrierens wurde dieses Ereignis immer wieder zu etwas ganz Besonderem, das mich so beeindrckt hat, dass jedes Jahr nach all der Zeit immer wieder dieses Gefühl der Feierlichkeit hochsteigt in mir und es mir regelmäßig passiert, dass mir beim Singen mit meinen erwachsenen Töchtern die Tränen in die Augen steigen.
In alledem steckt also auch eine tiefe Wehmut, angesichts deren der Kommerz wie ein Schlag ins Gesicht wirken kann.
All diese Gefühle sind im Erwachsenenalter mehr oder weniger verschüttet in den Unbilden des Lebens, aber wie Sidgani so treffend beschreibt: "Ein Funke glimmt immer noch."
Interessant finde ich dabei, dass zwar bei meiner katholischen Erziehung der christliche Hintergrund immer präsent war in Form von Lesungen der Weihnachtsgeschichte aus der Bibel, Kirchgang und Krippe unter dem Baum, jedoch war dies nie im Vordergrund, sonder stattdessen das familiäre Geschehen und Erleben. Genau dies hat mir den kindlichen Zauber von Weihnachten bis heute bewahrt, unabhängig von Märkten, Kaufrausch und Berieselung mit Plastikgefühlen und auch nachdem ich mich vom christlichen Hintergrund abgewandt hatte.
In meinem Gedicht war es mir wichtig, auch dies zum Ausdruck gebracht zu haben und das Meiste davon steckt in der ersten Strophe.
Nochmals danke und liebe Grüße!
Galapapa

Hallo Sidgrani,
danke fürs Kommentieren und für Dein Lob!
Mit Deiner Meinung zu Weihnachten sprichst Du mir aus dem Herzen. Um mich nicht wiederholen zu müssen, möchte ich Dich hierzu auch an meine Antwort an Lailany verweisen.
Der geheuchelt warme Glühwein ist vorwiegend als Metapher zu verstehen und zwar in doppelter Hinsicht. Im nur "warmen" Glühwein soll die Abkühlung der Empfindungen von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter und die Unehrlichkeit des kommerziellen Weihnachtsgetues zum Ausdruck kommen.
Kindliche Weihnachtsgefühle werden vorgeheuchelt, um die Kauflust anzukurbeln. Das Gleiche geschieht jede Weihnachten mit den sich häufenden Bettelbriefen, die man im Briefkasten findet.
Bilder, die an die kindlichen Erlebnisse erinnern sollen, werden gezielt benutzt, um diese immer noch glimmenden Gefühle aus den glücklichen Kindertagen anzufachen; dann soll gekauft und gespendet werden und darin erkenne ich die Heuelei.
Beides also, der nur warem Glühwein und die geheuchelte Wärme des Getränkes, sollen mehr oder weniger das Gleiche aussagen und gegenseitig verstärkend wirken.
Herzliche Grüße!
Galapapa