Ich mochte so ein sechsjähriger Bub gewesen sein, als ich bei einem meiner täglichen Streifzüge in die Felder und Wälder rund um das Dorf auf den Blättern einer Kartoffelstaude ein Tier entdeckte, das sich jeder systematischen Zuordnung, zu der ich damals fähig war, entzog. Beinahe erschreckte mich sein Aussehen, obwohl die pergamentene, nackte Haut an Farbenpracht kaum zu überbieten war. Das mir so befremdlich erscheinende Wesen hatte etwas, was mich augenblicklich fesselte. Dieses Etwas löste augenblicklich ein Blitzgewitter in meinen Synapsen aus, ich merke aber an, dass ich das damals anders formuliert hätte. Der offensichtlich extrem elastische, in alle Dimensionen verformbare, kurzschlangenförmige Nachtschattengewächsnager (wiederum ein Beschreibungs-modus, der ausschließlich in seiner Umständlichkeit Erwachsenen vorbehalten ist) hatte einen Schwanz. Nicht einen zum Wedeln, nicht einen zum Fliegenverscheuchen, es war eigentlich nur ein Körperfortsatz ohne erkennbare Funktion – aber eindeutig ein Schwanz. Ich musste mich trotz aller Spiele meiner Fantasie mit dem Gedanken anfreunden, dass es sich um eine Raupe handelte, was der Exotik des Tieres etwas an Exklusivität nahm. Allerdings, und das wertete den Fund wieder auf, ging es hier eindeutig um eine Riesenraupe. Zum Zeitpunkt dieser Erkenntnis war mein Plan schon fix und fertig. Die Sache musste ausgeschlachtet werden, finanziellen Ertrag bringen. Wie, wusste ich auch schon. Wer exotische Tiere ausstellen will – in einer Menagerie etwa, muss zuerst einmal einen entsprechenden Käfig zur Verfügung haben – an Freianlagen aus Grünen der artgerechten Haltung dachte damals noch niemand. Vor allem aber hatte ich das Tier als Art zu benennen. Ich war mir vollkommen sicher, dass es sich nur um eine „afrikanische Schwanzraupe“ handeln konnte und das stand dann auch kurz darauf in Großbuchstaben auf der Außenseite des Schuhkartons, der zugleich Käfig, Schauraum und Auslauf war. Innerhalb weniger Stunden konnte man an Scheunen, Stalltüren und Hausmauern Plakate bestaunen, die für einen Eintrittspreis von fünf Groschen ein unvergleichliches Erlebnis, nämlich die Besichtigung eines extrem seltenen Exemplars der afrikanischen Schwanzraupe versprachen. Und die Leute kamen, nicht übermäßig viele, neben Vater und Mutter waren es vier Nachbarkinder, der Bauer, auf dessen Feld die Kuriosität gefunden wurde und eine Tante. Sie alle zahlten - in Summe 40 Groschen. Meine Schwestern warfen auch einen Blick auf die - zugegeben ziemlich einseitige und klar umrissene Tierschau -zahlten aber nicht. Ich war zufrieden, der Erlös erlaubte mir den Ankauf eines Linienspiegels (von dem ich glaubte, er wäre ein technisches Gerät mit optischen Komponenten) und von drei Stollwerk mit Zitronengeschmack.
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