Hallo zusammen,

zum Einstand möchte ich euch das folgende Gedicht vorstellen. Ich hoffe, ihr könnte damit etwas anfangen.

Grüße, Catweazle

Algorithmus


Wir sind
immer erreichbar
und erreichen doch nichts.
Wir geben uns preis,
stülpen uns um,
leeren uns aus.

Für ein
wenig
Aufmerksamkeit.
Verkürzen lustvolle Sprache,
uns,
zu Symbolen, Floskeln.

Wir liefern – und uns aus.
Big Data sammelt
uns, wertet, weidet uns aus,
bis wir, ohne Werte, ohne Wert,
zu Daten wurden, die uns
scheinbar berechnen.

Smartwatch,
Datenbrille,
wir müssen uns nicht mehr
kümmern, werden gekümmert, nicht
bekümmert. Sie wissen alles und wir
sind verkümmert.

Aus Dichtern und Denkern
werden Bediener
der Geräte, die uns dienen sollten.
Wir schaffen sie und schaffen
uns ab und wir denken dabei.

Nicht mehr selbst.

Hallo Catweazle,
mir gefällt der Inhalt bzw. die Aussage deines Gedichtes sehr, sehr gut . Ich frage mich nur, ob die Zeilenumbrüche nicht etwas willkürlich gesetzt sind.
Du schreibst in deiner Vorstellung, dass du ein Musiker bist, haben die Umbrüche etwas mit Klang oder Rhythmus zu tun?
Herzliche Grüße,
Heliane.

Hallo Heliane,

meinst du, dass die Umbrüche nicht so recht für dich passen? Das mag sein, aber sie sind wirklich nicht zufällig so wie sie sind. Das ist schon Absicht. Danke für's Lesen und dafür, dass dir der Text inhaltlich gut gefällt. Mit Musik hat der Text nichts zu tun. Dann müsste er für mich regelmäßiger und fließender sein.

Grüße, Catweazle

Hallo Catweasle,

Der Begriff Algorithmus wird in der Mathematik und in der Informatik verwandt. Letzteres um die Lösung eines Problems zu erzielen. Ein Navi z.B. folgt einem „Kürzesten Pfad-Algorithmus“, damit wir den Weg schneller finden. Hier geht es also um Programm und programmiert. So weit, so gut.

Der Mensch also, der hier gemeint ist, ist der, der sich dem PC „ausliefert“, den er selbst als Hilfsmittel der Kommunikation schuf. So a la dem Zauberlehrling: „Die Geister, die ich rief…“ . Programmiert aber der PC uns, müsste das heißen, um einen Algorithmus zu erschaffen: er entwickelt eine Art selbstbestimmtes Handeln. Der Titel scheint mir hier nicht passend, denn:

DAS TUT ER NICHT. Er mag zwar Menschen animieren, sich zu häufig an ihn zu setzen, Daten frei zu geben ect., aber der Mensch tut es persönlich und nicht, weil er progammiert darauf wird.
Es ist ja niemand gezwungen Fratezbook und Co zu benutzen.

Das Netz selbst animiert natürlich zur Selbstdarstellung. Jeder Dichtende tut das irgendwie. Dennoch halte ich die Darstellung in diesem Werk für überzogen, denn Menschen produzieren sich auch anderswo, in Vereinen, in Kneipen, auf dem Elternabend…, in Politik und am Spielplatz.

Wer denkt für uns im Resumee? Ich denke noch selbst, obwohl ich ganz gerne am PC sitze.

Warum schaffen wir uns ab, wenn wir Daten frei geben? Und wer ist überhaupt „wir“? Wir wären alle. Das ist mir zu allgemein. Meine Oma hat gar keinen PC…

Von der Form her kann ich Helianes Bedenken durchaus verstehen.
Für mich ist der Text scharf an der Grenze zwischen Gedicht und Kurzprosa. Er weist weder Metrik noch Stilmittel außer Zeilenumbrüchen auf, um ihn als Gedicht auszuweisen. Das allein aber macht noch kein Gedicht.

Die Wortspiele entbehren für mich der Logik:

„Sie wissen alles und wir
sind verkümmert.“
Sehe ich keinen Zusammenhang. Selbst wenn jemand alles über mich weiß, muss ich nicht verkümmert sein.
„
Wir sind
immer erreichbar
und erreichen doch nichts.“

Ein Wortsspiel, ja- aber der logische Sinn? Warum sollten wir mehr erreichen, nur weil wir immer erreichbar sind?

„
wir müssen uns nicht mehr
kümmern, werden gekümmert, nicht
bekümmert.“

Wortspiel, ja, aber? Um was müssen wir uns nicht mehr kümmern? Das Programm, die „Wächter des Netzes“ „kümmert sich um uns“ naja… passivisch hat wieder was von ausgeliefert sein. Aber das bekümmert werden????
Aber nein, nicht meins, weil es eben auf der eingangs beschriebenen Prämisse beruht, die ich nicht bejahen kann.

Von der Machart her grundsätzlich nicht schlecht gemacht, der Text, aber da ich die Grundthese nicht teilen kann, die eine subjektive Einstellung zu verallgemeinern sucht, und da es mir an Logik mangelt, gefällt mir das Werk nicht so.

Sorry und lG von Koko

Hallo Catweazle,
Ich hoffe dass Du, "Dichter und Denker", selbst wenn sie einen PC benützen doch etwas mehr Freiheit des Denkens zugestehst, obwohl.., nun ja, in gewisser Weise jeder von Beeinflussungen betroffen ist. Wir werden ja regelrecht überflutet und Bildersprache ist sehr mächtig.
Aber eine Gefahr sehe ich auch ganz deutlich. Ich treibe mich weder bei Twitter oder Facebook rum, sehe aber mittlerweile kaum noch eine Chance von whats-ap runter zu kommen. Zu viele meiner Freunde nutzen und benutzen es. Nach den letzten Infos weiß man ja, dass dort Datensicherheit nicht so ganz ernst genommen werden kann.
Dein Gedicht spricht eine deutliche Warnung aus und ich glaube dass die Menschheit auf Dauer "Big Brother" nicht entfliehen kann:
GOOGLE kann bei manchen Autos Fahrspuren auslesen, wie es auch schon unser Navi kann, - kann Häuserüberwachung kontrollieren oder gucken was im Kühlschrank steht. Jede dieser vermeindlichen Annehmlichkeiten wird in jeder Hinsicht teuer bezahlt.
Ich sehe in Deinem Zeilenumbruch eine Hervorhebung und Deutlichmachung die irritiert und innnehalten lässt und das war vermutlich auch Deine Intention.
Liebe Grüße,
Heidi

Lieber Catweazle, du sprichst da ein wichtiges Thema an und hast es auch gut in Form gebracht. Machen wir uns nichts vor, man kann das Rad nicht wieder eckig machen, denn dann würde der Wagen nicht mehr rollen. Schade das zu Beginn der Smartphonzeit, SMS Nachrichten, unsere Kinder dazu gezwungen haben ihre Texte so zu kürzen, dass ein sinnvoller Text gar nicht geschrieben werden konnte!! Jeder Buchstabe zu viel kostet Geld und dafür müssten die Betreiber, die ja sehr viel abkassieren, Strafgebühren an die Schulen zahlen. Mit whatsap ist es nun leichter korrekt zu schreiben, aber für viele nicht mehr der Mühe wert.
In Facebook war ich nur kurz und so erschrocken über die Naivität mit der dort die persönlichsten und intimsten Gedanken gepostet werden, dass ich schnell wieder da raus gegangen bin. Beim Mißbrauch unserer Daten sind wir ja schon lange machtlos, denn bestimmt werden auch Briefe von unbefugten Personen geöffnet und gelesen.
LG Heike

Hallo zusammen,

vielen Dank für eure Kommentare.
Das, was ich mit diesem Text sagen will, hat Klatschmohn ganz gut beschrieben und auch die Zeilenumbrüche dienen eher dem "Hängenbleiben" und der Irritation. Auch die Wortspiele haben mehr das Hängenbleiben und die Irritation zum Ziel. Danke, Heidi, für deinen netten und konstruktiven Kommentar.
Ich halte das Thema für enorm wichtig und sehe darin nicht eine Weiterentwicklung, die unbegründete Ängste auslöst, sondern sehr begründete, aber das ist ein Thema, das jetzt wohl zu weit führen würde.
Selbstverständlich gestehe ich allen "Dichtern und Denkern" das eigene Denken zu. Genau darum geht es mir mit diesem Gedicht im Kern. Wir sollten mehr selbst denken und uns nicht so sehr auf die wohlfeilen Angebote unserer Technik verlassen. Dabei habe ich manche Passage dieses Textes natürlich zugespitzt. Ich wollte niemanden damit persönlich angreifen.
Danke für's Kommentieren.

Liebe Grüße von Catweazle

Lieber Catweazle,

mich hat das Gedicht sehr angesprochen und obgleich ich Koko recht gebe, dass natürlich jeder von uns die Freiheit hat, sich den digitalen Einflüssen zu entziehen, so merke ich doch auch, wie sich die digitale Welt ganz subtil und perfide in unsere Leben als Selbstverständlichkeit schleicht. Sind wir wirklich so frei wie wir denken, dass wir es wären?

Ungeachtet dessen habe ich einmal versucht , deinen Text etwas zu verdichten - bitte verstehe es nur als Anregung...

Und danke für den Gedankenimpuls ..

herzlichst

anna

Algorithmus

Wir sind
immer erreichbar,
erreichen wir nichts?
Wir geben uns preis,
stülpen um,
leeren uns aus.

Für wenig
Aufmerksamkeit.
verkürzen Sprache,
zu Symbolen, Floskeln.

Wir liefern uns
aus.
wir werden gesammelt,
bewertet, geweidet,
bis wir, ohne Werte,
ohne Wert,
Daten wurden
berechenbar.

Datenbrille,
wir müssen uns nicht kümmern,
werden gekümmert,
unbekümmert,
verkümmert.

Aus Dichtern und Denkern werden
Bediener der Geräte,
die uns dienen sollten.
Wir schaffen sie,
schaffen uns ab,
denken wir dabei

nicht mehr selbst.

Liebe Anna,

vielen Dank für deine Anregungen und deine Mühe, meinen Text zu verdichten.

Dass wir die Freiheit hätten, uns den digitalen Einflüssen zu entziehen, stimmt meines Erachtens nur teilweise. Vielem kann man sich eben nicht so einfach mehr entziehen, denke ich. Aber letztlich muss jeder selbst wissen, welche Nachteile er hinnehmen möchte. Und Nachteile müssen wir inzwischen hinnehmen, wenn wir uns dem ( ein Stück ) entziehen möchten. Das macht es auch so unangenehm. Und wir werden alle immer überwachbarer und geben ein Stück unseres Lebens preis und auf. Aber - wie gesagt - das muss jeder selbst wissen. Ich will niemanden missionieren oder als Besserwisser erscheinen.

Liebe Grüße, Catweazle